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Hessischer Hochschulpakt bedeutet laut Hochschulen einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit

Land und Hochschulen unterzeichnen Einigung bis 2031.  Die Hochschulleitungen rechnen mit Milliardendefizit und warnen vor Stellenabbau und Studiengangschließungen.
Social Media Post geschnitten

Exzellenzshow versus Kürzungsrealität? Ausschnitt aus einem "BlueSky"-Post.

DAS LAND HESSEN und die staatlichen Hochschulen haben nach schwierigen Verhandlungen den Hessischen Hochschulpakt mit Laufzeit 2026 bis 2031 unterzeichnet. Während die Landesregierung am Donnerstag von der Zusicherung verlässlicher Rahmenbedingungen "in einer Zeit notwendiger Haushaltskonsolidierung und in einem herausfordernden finanzpolitischen Umfeld" spricht, nennen die Hochschulleitungen den Pakt "mutlos", er schwäche Wirtschaft und Gesellschaft.

2026 sollen die Hochschulausgaben "als Konsolidierungsbeitrag" um rund 30 Millionen Euro (1,3 Prozent) abgesenkt werden. Im Jahr 2027 kehre das Budget auf das Niveau von 2025 zurück, von 2028 an sollen die Ausgaben bis 2031 jährlich steigen. Die Hochschulen erhielten dann laut Wissenschaftsministerium "Planungssicherheit bei Tarifsteigerungen", dafür stünden von 2028 an jährlich mindestens 37,5 Millionen Euro zur Abdeckung von Tarifabschlüssen zur Verfügung. Bei Abschlüssen über vier  Prozent würden zusätzliche Landesmittel bereitgestellt, damit die Hochschulen vor einem strukturellen Defizit durch Tariferhöhungen geschützt seien. Die Hochschulen heben dagegen hervor, dass es keine umfängliche Finanzierung der Tarifsteigerungen aus dem Jahr 2025 gebe sowie nur eine begrenzte Kompensation der Tarifsteigerung im Jahr 2026. 2027 und den folgenden Jahren würden zu erwartende Personalkostensteigerungen zwar durch das Land Hessen bis zu einer Steigerung von 2,5 Prozent und jenseits von vier Prozent im jeweiligen Folgejahr kompensiert, doch verbleibe bei den Hochschulen "somit gegebenenfalls ein Eigenanteil". Inflationsbedingte Steigerungen von Sachkosten würden nicht kompensiert.

Außerdem sollen zahlreiche Einzeltöpfe und Landesprogramme in einem neuen, erweiterten Sockelbudget zusammengefasst und alle bisherigen Förderprogramme dauerhaft verstetigt werden. In der Gesamtschau ergebe sich laut Wissenschaftsministerium "mehr Autonomie, weniger Detailsteuerung" und Bürokratie bei der Verwendung der Hochschulbudgets, zugleich steige der Anteil der leistungsgesteuerten Finanzierung von 15,5 Prozent (2025) auf 18,1 Prozent (2026).

Finanzminister: Pakt "kostet mich viel Geld"

Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) sagte, die Gespräche mit den Hochschulen seien "von wechselseitigem Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein" geprägt gewesen und hob die "Planungssicherheit für die nächsten sechs Jahre" hervor. "Sicherlich hätte ich mir einen größeren finanziellen Spielraum gewünscht – aber wir haben in schwieriger Lage das Bestmögliche für Hessens Hochschulen erreicht." Finanzminister Alexander Lorz (CDU) betonte: "Dieser Hochschulpakt kostet mich als Finanzminister viel Geld. Trotzdem unterstütze ich ihn ausdrücklich, denn dieses Geld ist gut angelegt." Als Hochschullehrer wisse er, wie wichtig eine verlässliche Finanzierung von Wissenschaft, Forschung und Lehre sei. "Gegenüber den anderen Dienststellen des Landes werden die Hochschulen privilegiert: Kürzungen zum Haushalt 2026 müssen alle Ressorts realisieren, aber nur die Hochschulen bekommen über den Pakt garantierte Zuwachsraten bis 2031."

In einer Erklärung ergänzend zum Hochschulpakt gaben die Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten der 14 Hochschulen dagegen zu Protokoll, ihre grundsätzliche Kritik, die sie bereits in den Verhandlungen geäußert hätten, bleibe bestehen. "Wir gehen davon aus, dass die Regelungen des Hochschulpakts 2026-2031 die finanzielle Grundsicherung und Entwicklungsfähigkeit unserer Hochschulen gefährden. Aus diesem Grund sprechen wir uns gegen die vorgesehenen finanziellen Kürzungen und den strukturellen Abbau des hessischen Hochschulsektors aus." Positiv bewerte man, dass das Wissenschaftsministerium konsequent Einzelprogramme in seinem Einflussbereich in ein neues Sockelbudget überführt habe, was einen deutlichen Bürokratieabbau und mehr Flexibilität ermögliche. "Wir unterzeichnen den Hochschulpakt, um im Rahmen unserer Gesamtverantwortung als Präsidien planbare Mindestressourcen zu sichern."

Die hessischen Hochschulen rechneten mit einem Defizit in den Budgets von etwa einer Milliarde Euro – was zehn Prozent des Personalbudgets entspreche. "Das bedeutet, dass die Hochschulen über die Dauer der Paktlaufzeit schrumpfen müssen", teilten die Hochschulleitungen in einer eigenen Pressemitteilung mit.

Wenige Tage vor Paktunterzeichnung hatte bereits die Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) mitgeteilt, dass zwei ingenieurwissenschaftliche Studiengänge geschlossen werden sollen und die Aussetzung weiterer Programme diskutiert werde als "schmerzhafte Weichenstellungen zur Vorbereitung auf den Hessischen Hochschulpakt". Die eingestellten Studiengänge seien durch zusätzliche Praxisprojekte und die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen in den ersten vier Semestern charakterisiert gewesen, die damit einhergehende intensivere Betreuung der Studierenden werde die Hochschule nicht mehr finanzieren können. Eine Stellen- und Wiederbesetzungssperre gelte an der Frankfurt UAS bereits seit Februar 2025.

Strahlen und kürzen

Die Präsidentin der TU Darmstadt, Tanja Brühl, und TU-Kanzler Martin Lommel, kritisierten, durch den Hochschulpakt würden die Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit Hessens geschwächt. Das inflationsbereinigte Budget für die TU werde auf dem Niveau von 2010 verharren. "Und das, obwohl wir die Zahl unserer Studierenden im gleichen Zeitraum um 20 Prozent gesteigert haben." Die durch Wissenschaftler:innen der TU Darmstadt eingeworbenen Drittmittel seien um rund 50 Prozent gestiegen. Als Konsequenz aus dem Hochschulpakt werde man "durch Kürzungen kompensieren müssen." Diesen Prozess werde man nun im Dialog mit den Mitgliedern und Einrichtungen der Universität gestalten. 

Schwierig, wenn man gleichzeitig strahlen soll: Die TU Darmstadt bewirbt sich zusammen mit den Universitäten Frankfurt und Mainz als "Allianz der Rhein-Main-Universitäten" um den Exzellenztitel. Auch die Universitäten Gießen und Marburg gehen als Mittelhessischer Verbund ins Rennen. "Hessen ist zurück auf der Landkarte der Forschungsexzellenz", hatte Minister Gremmels Ende Juni angesichts der beiden Verbundbewerbungen im Landtag jubiliert.

Die Gießener Philosophieprofessorin Elif Oezmen postete dagegen am Donnerstag auf "Bluesky": "Exzellenzuniversität vs Mittelhessische Universität, die ab sofort 25 Millionen Euro einsparen muss, weil der neue Hessische Hochschulpakt es so vorschreibt (Stellenmoratorium schon da, weitere drastische Sparmaßnahmen, Streichungen und ggf Institutsschließungen incoming)."

In Berlin auch demnächst eine Einigung?

In Berlin drohen die Hochschulen seit Monaten derweil ein ums andere Mal mit einer Klage. Die für 2024 bis 2028 laufenden Hochschulverträge waren im Februar 2024 unterzeichnet worden – als viele Experten bereits Kürzungen befürchteten, während der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versicherte, die Abmachung werde nicht angetastet. Zuletzt hatte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses in einem Gutachten festgestellt, dass die Berliner Hochschulen rechtlichen Anspruch auf Erfüllung der Verträge hätten.

Am vergangenen Dienstag dann plötzlich eine kryptische Pressemitteilung der Landeskonferenz der Rektor*innen und Präsident*nnen der Berliner Hochschulen (LKRP): Es seien "wesentliche Fortschritte" auf dem Weg zu einer etwaigen Anpassung der Hochschulverträge erzielt worden. Aber: "Klarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen werden wir erst haben, wenn der Senatsbeschluss zum Doppelhaushalt 2026/27 vorliegt“, fügt die LKRP-Vorsitzende Julia von Blumenthal hinzu. Während die zuständige Senatsverwaltung der Nachrichtenagentur dpa mitteilte, Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) werde sich zu laufenden Verhandlungen gar nicht äußern. Die Einbringung der Änderungsvereinbarung in den Senat sei für August geplant. Inzwischen hat die Czyborras Verwaltung bereits für Dienstag, den 23. Juli eine Pressekonferenz mit Senatorin und Staatssekretär angekündigt. An dem Tag würden die Verhandlungen mit den Hochschulen ihren Abschluss finden, im Anschluss wolle man über die Ergebnisse informieren.

Anfang der Woche waren vor der Wissenschaftsverwaltung bei einer Demonstration gegen die Sparmaßnahmen rund 3.000 Menschen zusammengekommen – erstaunlich wenig angesichts von rund 200.000 Studierenden in der Hauptstadt und zehntausenden Mitarbeitern an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

In hessischen Universitäten hatten sich laut der Gewerkschaft Verdi vergangene Woche rund 3.500 an Protesten in Darmstadt, Frankfurt, Kassel, Marburg und Fulda beteiligt, davon laut Polizei allein in Darmstadt rund 2.000. 

Kommentare

#1 -

Dominik Fischer | Fr., 18.07.2025 - 19:46

Auch staatliche Hochschulen in Deutschland werden nicht umhinkommen, sich bei ihrer Grundfinanzierung breiter aufzustellen.

Dabei müssen auch neue Denkansätze erlaubt sein, wie vermehrte Einbindung von Stiftungen oder angepasste Formen von public-private partnerships.

Nicht um sich in Abhängigkeiten zu begehen, sondern im Gegenteil, sich zu diversifizieren: Die staatliche Grundfinanzierung wird die tragende Säule bleiben, und das aus gutem Grund. Aber es wird eben auf eine Säule beschränkt bleiben. Rhetorische Kniffe wie die des Hessischen Finanzministers, die aber doch durchschaubar sind, inklusive. Nach dem Motto: Beschwert euch nicht (weiter), euch hats am Wenigsten getroffen. Denn auch das ist eine Form von Abhängigkeit.

Weshalb also nicht ein bis zwei neue Säulen einziehen? Diese müssen nicht die ganze Hochschule tragen, können provisorisch sein, und doch helfen wichtige oder neue Bereiche zu stützen. 

Voraussetzung für diese selbstbewusste Erschließung neuer Finanzierungswege ist, dass Hochschulen zuvor ihr Profil herausgebildet haben und daraus eigene Identität entwickeln: Wie wirke ich und wo wirke ich in Gesellschaft, in die Wirtschaft, etc.? Was will ich künftig bewegen? Und womit?

Ich wünsche den Hochschulen Mut und proaktives Engagement, um mit neuen Konzepten und Ideen zu überzeugen. Wen auch immer.

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