Humboldt, übernehmen Sie!

Weil die neue Berliner Koalition den Fall Holm nicht politisch lösen kann, singt sie ein Hohelied auf die Hochschulautonomie.

Andrej Holm (Foto: Stephan Röhl, weitere Angaben siehe unten)
Andrej Holm (Foto: Stephan Röhl, weitere Angaben siehe unten)

ES SOLL außerhalb Berlins noch Leute geben, denen der Name Andrej Holm nichts sagt. In der Hauptstadt selbst ist er innerhalb weniger Wochen zum bekanntesten Staatssekretär seit der Wiedervereinigung avanciert.

Was wenig mit seiner fachlichen Kompetenz zu tun hat, obgleich der Stadtsoziologe an seiner bisherigen Arbeitsstelle, der Berliner Humboldt-Universität (HU), als kenntnisreich gilt, als beliebt bei den Studenten und als untadeliger Mitarbeiter. Mit einem Makel: Vor elf Jahren hat Holm, heute 46, einen Uni-Fragebogen ausgefüllt und die Frage, ob er hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen sei, mit „Nein“ beantwortet. Fakt ist, dass er sich mit 14, das war Mitte der 80er Jahre, zur Stasi-Offizierslaufbahn verpflichtet hatte und am 1. September 1989 seine Ausbildung begann.  


Die Stasi-Tätigkeit an sich wäre dabei, anders als in den Neunziger Jahren noch, wohl gar kein Ausschlusskriterium mehr für eine politische Laufbahn – solange Holm nicht nachweislich Menschen Unrecht angetan hat. Doch schon als Rot-Rot-Grün Mitte Dezember seine Ernennung zum Staatssekretär für Wohnen durchdrückte, stand zusätzlich die Frage im Raum, ob er gegenüber der HU falsche Angaben gemacht habe. Nur Stunden nach der Ernennung teilte die Universität mit: Ja, offenbar hat er das. 

Belassen wir es dabei. Mein Kollege David Ensikat vom Tagesspiegel hat sich in einem lesenswerten Stück mit der Frage auseinandergesetzt, wie so eine "Lüge, Notlüge, Unwahrheit, Amnesie, was auch immer" zustande kommen kann.

 

Am meisten geschadet haben die Koalitionsparteien mit der voreiligen Ernennung Holm selbst. Sie haben sich und ihn in eine Lage hineinmanövriert, aus der sie – ohne Gefahr für ihren noch so frischen Dreierbund – nicht mehr herauszufinden glauben. Zumindest nicht auf politischem Wege. Was also tut man? Man outet sich, für eine linke Koalition womöglich überraschend, als größtmögliche Fans der Hochschulautonomie.

 

Die HU als Arbeitgeber Holms solle die Sache prüfen und personalrechtlich klären, so lautete der Kompromiss. Als Politik werde man die Entscheidung der Universität dann respektieren. Eine Aufgabe für HU-Präsidentin Sabine Kunst, die undankbarer nicht sein könnte. Entscheidet die HU, dass der beurlaubte Holm seine Uni-Stelle nicht behalten darf, woraufhin er auch als Staatssekretär zurücktreten müsste, werden Teile der Koalition sie als unbarmherzig und engstirnig schelten. Von Holms zahlreichen Unterstützern in der Stadt ganz abgesehen. Sagt die Universität (was sie bei weniger öffentlicher Aufmerksamkeit, also bei einem normalen Mitarbeiter, wahrscheinlich täte): „Lange her, lassen wir Gnade vor Recht ergehen“, würde die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus ihr womöglich Parteilichkeit vorwerfen.

Wobei Kunst eben juristisch gesehen eigentlich gar keinen Entscheidungsspielraum hat: Falschangabe ist Falschangabe.

 

Die menschliche Bewertung hingegen kann (und muss?) zwangsläufig differenzierter ausfallen. Wie schreibt David Ensikat: „Wie wäre es, wenn wir uns eingestünden, dass wir uns, das richtige, wahlweise falsche Elternhaus vorausgesetzt, in einem Drecksland DDR allesamt in idotischen, wahlweise heldenhaften Positionen wiederfänden? Und dass wir unsere Position verändern können.“

Es müsse eine politische Entscheidung geben, keine Verwaltungsentscheidung der HU, forderte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk am Freitagabend in einer Podiumsdiskussion mit Andrej Holm – wahrscheinlich vergeblich. Der Soziologe selbst hat gerade um eine Fristverlängerung gebeten und muss seine Stellungnahme bei der Uni-Verwaltung jetzt erst am 12. Januar (Donnerstag) einreichen.


Schon jetzt ist es eine Geschichte, in der es  nur Verlierer gibt. Bleibt eine hochschulpolitische Lehre: Es wäre schön, wenn die rot-rot-grüne Koalition ihre Begeisterung für die Unabhängigkeit der Universitäten, mit der sie in die Legislaturperiode gestartet ist, bis zum Ende durchhalten würde. Naheliegendere Gelegenheiten dazu wird es zur Genüge geben.

 

Foto-Credit: Stephan Röhl: "Andrej Holm", CC BY-SA. 2.0


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