Jahresausblick 2017: Gebildet wird immer

Während die Welt im Krisenmodus feststeckt, sind Deutschlands Schulen und Hochschulen in Bewegung. Welche Trends von 2016 ins neue Jahr hinüberweisen.

Foto: Shane Hauser
Foto: Shane Hauser

 

Zum vorvergangenen Jahreswechsel zitierte ich eine Berliner Tageszeitung: "Das Beste an 2015? Dass es vorbei ist." Tja, was soll man da über 2016 sagen?

 

Ihnen gehe das 2016-Bashing gehörig auf die Nerven, meldeten sich dagegen einige Kommentatoren unmittelbar vor Silvester zu Wort, es sei trotz aller Anschläge, Katastrophen und politischen Verirrungen natürlich auch ein gutes Jahr gewesen. 

 

Eine Perspektive, die ich mit Blick auf die Bildung und die Wissenschaft in Deutschland nur unterstützen kann. 2016  war ein ereignisreiches Jahr, es gab erstaunlich viele positive Nachrichten. Natürlich gab es auch schlechte, ärgerliche – und (zum Glück, sonst wär's langweilig!) skurrile. Gleichzeitig scheint die Polarisierung in Bildungsdebatten wieder zuzunehmen. Womit sie, siehe oben, wieder im Trend der Weltpolitik lägen.

 

Doch anders als im globalen Miteinander tut ein bisschen mehr Zwietracht vielleicht sogar gut bei der Frage, wie das erfolgreichste, das fairste und ideenförderlichste Bildung- und Wissenschaftssystem aussehen könnte. Ob die Diskussionen über den Bolognaprozess und die Exzellenzinitiative, der öffentlichen Schlagabtausch um die Zukunft der Akkreditierung oder der Streit darüber, was das Abitur noch wert ist: Sie alle füllen Themenkomplexe mit Leben, die oft allzu blutleer und bürokratisch daherkommen und dadurch die umfassende Bedeutung von Bildung und Forschung für unser aller Zusammenleben und Zukunft verdecken. Wenn wir uns über unsere Werte streiten, wenn wir mit Emotionen und mit guten Argumenten für unsere Überzeugungen eintreten, können wir auch Menschen erreichen und begeistern, die sonst nur die Schultern zucken und weghören, sobald von Hochschulreformen und Schulstrukturen die Rede ist. 

 

Was aber bleibt nun vom Jahr 2016, und was folgt daraus für Bildungs- und Forschungspolitik in 2017, dem Jahr der Bundestagswahl? Schauen Sie doch mal, was Sie mit meiner folgenden Liste anfangen können, die zwangsläufig subjektiv ist, unvollständig und erst recht nicht nach Wichtigkeit sortiert.

 

 

 

1. Der Bund darf jetzt auch den Schulen Geld geben. Die Träger müssen es aber auch wollen.

 

Starten wir mit einem eigenartigen Streit. Ein später Freitagnachmittag Anfang Oktober. Hubertus Heil (SPD) jubelt per Pressemitteilung: "Das Kooperationsverbot für Schulen ist Geschichte!" Ein Anruf im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Dort ist man erstmal verwirrt. Wovon redet der? Ein paar Stunden später die Klärung: Bund und Länder wollen einen neuen Artikel ins Grundgesetz einzufügen, als Bestandteil der Reform zu ihren Finanzbeziehungen. Nummer 104c soll bestimmen, dass der Bund den Ländern „Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren“ kann – was Heil, der Fraktionsvize im Bundestag, umgehend als "Aufbrechen des Kooperationsverbots" interpretierte. 

 

Im Gegensatz zu Union und Teilen der Grünen. Noch Wochen später kommentiert der Sprecher des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann: Das "hätte der zentralistische Herr Heil vielleicht gerne!" Und es wird noch skurriler. Derselbe Kretschmann, der so vehement die Lockerung des Grundgesetzes abstreitet, hat in das Protokoll zur Einigung hineinschreiben lassen, Baden-Württemberg habe „schwerwiegende Bedenken“ gegen die vereinbarte Änderung, da sie ein „Einfallstor für Bemühungen des Bundes“ öffnen könnte, „sich sukzessive Einfluss auf originäre Länderkompetenzen sichern zu können.“ 

 

Lassen wir das mal so stehen. Schauen wir lieber, was sich die Politik einfallen lässt, um die neuen Möglichkeiten zum Leben zu erwecken. Wobei der Bund dazu auch das nötige Kleingeld bräuchte, und das ist längst nicht mehr so reichlich vorhanden, wie gern suggeriert wird. Ebenfalls spannend: Werden Sozialdemokraten, Linke und Bundesgrüne (die sind nämlich FÜR die Lockerung des Kooperationsverbots) mit der Änderung zufrieden sein, oder geht da noch mehr? In den vergangenen Jahren zumindest gab es kaum eine beliebtere, da plakativere Taktik, um die Union in Bildungsfragen vor sich herzujagen. 

 

Die Fortsetzung der Geschichte folgt bereits: Zwischen den Jahren berichtete Spiegel Online, der Landkreistag lehne die Milliarden vom Bund ab und bezeichne die schon versprochenen 3,5 Milliarden zur Schulsanierung "als vergiftetes Geschenk". (Nachtrag am 05. Januar: Und die SPD gab dazu passend heute eine etwas eigenartige Pressemitteilung heraus. Mehr dazu hier.)

 

 

 

2. "Bildung in der digitalen Welt" trifft es besser als
"digitale Bildung", und endlich wird (ein bisschen) Tempo
gemacht bei dem Thema.

 

Es ist wohlfeil. Dennoch fehlte auch 2016 in keiner Diskussion zur "digitalen Bildung" der Hinweis, dass der Begriff Quatsch sei. Bildung sei weder digital noch analog, deshalb müsse es anders heißen, "Bildung in der digitalen Welt" etwa. Wie viel Zeit auf derlei Begriffsklärungen verwendet wird, zeigt, wie sehr wir bei den Inhalten und Strategien noch an der Oberfläche kratzen. Doch es gibt Lichtblicke. Vor allem das Papier der Kultusministerkonferenz (KMK), das diese Anfang Dezember veröffentlichte. Schon deshalb, weil sich 16 Bundesländer überhaupt auf ein mehr als 50 Seiten langes Dokument geeinigt haben, in dem viel Richtiges steht, zum Beispiel ein "Kompetenzrahmen verbindlicher Anforderungen für die Bildung in der digitalen Welt". 

 

Das KMK-Papier setzte auch in anderer Hinsicht Standards. Die Kultusminister haben sich getraut, sich die Expertise von Wissenschaftlern, Unternehmen, Verbraucherschützern, Verbänden, Gewerkschaften und Lehrern nicht wie sonst üblich nur pflichtschuldig in ein paar Anhörungen abzuholen, sondern sie am Entwurf von Anfang an mitschreiben zu lassen – transparent und ergebnisoffen. Natürlich hat die Politik die Endredaktion übernommen, dabei auch die eine oder andere Idee wieder rausgeworfen und neue Passagen hinzugefügt. Doch es bleibt ein einzigartiger und vorbildlicher Beteiligungsprozess, der sich hoffentlich bei anderen Themen wiederholen wird.

 

Jetzt ist Johanna Wanka (CDU) an der Reihe. Fünf Milliarden Euro hat sie den Schulen im Oktober versprochen, damit sie sich technisch aufrüsten können, und von Anfang an hat die Bundesbildungsministerin klar gemacht, dass die Länder sich im Gegenzug für ihren "DigitalPakt#D" verpflichten sollen, "die entsprechenden pädagogischen Konzepte, die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie gemeinsame technische Standards umzusetzen." Anstatt den Ländern detaillierte Vorschriften zu machen, kann Wanka einfach auf die KMK-Strategie verweisen und sagen: Haltet euch an das, was ihr da besprochen habt, und wir sind im Geschäft. Und die Länder können sich nicht beschweren, der Bund wolle ihnen etwas Ungewolltes aufzwingen. Ende Januar beginnen die Verhandlungen, wie der Pakt konkret aussehen soll. 

 

 


3. Was Pisa-Schock noch übrig blieb und warum
"Reform" kein Schimpfwort werden darf.


Die OECD veröffentlicht eine Bildungsstudie, und Deutschland erzittert. So war das vor 15 Jahren, als Deutschlands Selbstbild (Land der Dichter und Denker usw.) auf die gemessene Realität (sogar die Amis haben bessere Schulen) traf. Das einzig Positive: ein eindeutiges Ergebnis mit einem eindeutigen Auftrag – es muss dringend etwas passieren! Und ob etwas passiert ist in den vergangenen 15 Jahren. Die Liste der Schulreformen war lang – zu lang für diesen Jahresausblick – und Deutschlands Schüler kletterten langsam, aber stetig in den internationalen Bildungsrankings nach oben. Bis Ende November 2016 der Grundschulvergleich Timms kam mit auf den ersten Blick undramatischen Ergebnissen: ein paar Pünktchen weniger in Mathematik, in den Naturwissenschaften haben die deutschen Schüler exakt das Ergebnis von vor vier Jahren wiederholt.

 

Und doch: Es machte eine Menge. Das zentrale Reformversprechen, „Wir muten den Schulen etwas zu, aber wir machen die Schulen dadurch besser“, galt plötzlich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr. Anfang Dezember folgte Pisa, der Vergleich der 15-Jährigen, und anders als vor 15 Jahren wusste keiner so recht, was wir mit den Zahlen anfangen sollen. Nahezu identische Leistungen beim Lesen, ein leichter, aber statistisch nicht signifikanter Abfall in den Naturwissenschaften und in Mathematik: "Plus minus null", befand der Tagesspiegel lapidar. Andreas Schleicher, der OECD-Bildungsdirektor, versucht seit Monaten einen argumentativen Spagat. Einerseits lobt er Deutschland für die Reformfreudigkeit der vergangenen Jahre, andererseits beobachtet er, "dass der Schwung in den vergangenen Jahren wieder abgeflaut ist – und das ist langfristig sehr schade." Entsprechend deutete die OECD die Pisa-Ergebnisse: Deutschland bewege sich seitwärts auf einem "Hochplateau", von einer Aufstiegsdynamik sei aber nichts mehr zu spüren. Inoffiziell hört man aus OECD-Kreisen, dass die aktuelle Stagnation Vorbote eines Leistungsabfalls sein könnte.

 

Und warum? Weil der seit 15 Jahren anhaltende Aufwärtstrend bei den Schülerleistungen  durchbrochen ist und gleichzeitig immer mehr Stimmen in den Schulen, Kultusministerien und Medien fordern: Jetzt ist es mal gut mit den Reformen.  Eine ungute, eine ungemütliche Mischung. Schon bei der Kommentierung der Timms-Ergebnisse schloss ich: "Wer nicht will, dass der Begriff „Bildungsreform“ auf Jahre hinaus zum Schimpfwort wird, muss sich dringend ein paar gute Argumente einfallen lassen." 

 

 

 

4. Das Gymnasium ist die neue Hauptschule
– und muss sich neu erfinden.


Ist es ein Problem, wenn 60, 70 Prozent eines Altersjahrgangs das Abitur anstreben? Ja, aber nur wenn die starken Schüler dadurch schwächer werden. Und genau das, so belegen Schulleistungsstudien regelmäßig, war zumindest in den vergangenen 15 Jahren (siehe oben) nicht der Fall – im Gegenteil: Die Schüler können und wissen heute mehr als zur Zeiten der ersten Pisastudie im Jahr 2000, als nur gut 40 Prozent der Schüler das Gymnasium besuchten.

 

Verfolgt man die Debatte um die vermeintliche "Entwertung des Abiturs" und die Einlassungen des Philologenverbandsvorsitzenden Heinz-Peter Meidinger, geht es um etwas Anderes. Wenn ich einen hochwertigen Abschluss anstrebe, so die Denke, ist der mehr wert, je weniger Leute außer mir ihn haben. Bei einer Abiquote von 70 Prozent gehe der Distinktionswert des "Reifezeugnisses" gegen Null. Analytisch korrekt – aber kann das ein Leitmotiv für bildungspolitische Entscheidungen sein? Ziel der Bildungspolitik muss sein, möglichst viele junge Menschen möglichst gut auszubilden, anstatt um der Distinktion willen den einen die Chancen der anderen zu verwehren. 

 

Abseits solcher ethischen Erwägungen ist die Realität ohnehin, wie sie ist: Das Gymnasium ist die neue Hauptschule – im wertneutralen Sinn des wichtigsten, des "Mainstream-"Schulzweigs. Vielerorts müssen Gymnasiallehrer ihre Rolle neu bestimmen und tun dies auch längst. Woraus folgt, dass sich die wahre Kluft künftig innerhalb der Gruppe der Gymnasien auftun wird. Auf der einen Seite werden Schulen stehen, an denen alles so bleibt, wie es immer war, weil sie sich weitgehend gegen den Zustrom der "Neuen" abschotten. Und auf der anderen stehen schon heute vor allem innenstadtnahe Gymnasien, die sich öffnen für Schüler ohne klassische Gymnasialempfehlung. Anstatt, getrieben vom Bildungsbürgertum, über G8 versus G9 zu streiten, sollte sich die Bildungspolitik dringend der Frage zuwenden, wie sich der Wandel des Gymnasiums gestalten lässt. Und welche Handreichungen man den Gymnasiallehrern bietet, damit sie erfolgreich damit umgehen können. 

 

 


5. Wer redet jetzt noch vom großen Potenzial der Flüchtlinge?
Es ist da!

 

Ist Ihnen das aufgefallen? Nicht erst seit dem schrecklichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche redet kaum noch einer von der Bereicherung, die die vielen Flüchtlinge für unser Land sind. Und damit meine ich nicht nur menschlich, das sind sie ohnehin. Sondern auch für uns als alternde Gesellschaft. Schon in den vergangenen Monaten hatte die Debatte über die Defizite der Neuankömmlinge und "die Kosten, die sie verursachen" (schon das eine eigentlich krasse Sprachmelodie) die Schlagzeilen beherrscht, und das obwohl die mittlerweile zahlreichen Studien belegen: DIE Flüchtlinge gibt es gar nicht. Schauen wir uns nur einmal ihren Bildungsstand an. Auf der einen Seite stünden viele Geflüchtete mit einer guten oder sehr guten Schulbildung, auf der anderen Menschen, die entweder gar keine Schule oder nur eine Grundschule besucht hätten. So steht es in einer gemeinsamen Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Forscher folgern: Es gebe eine "starke Polarisierung" bei der Allgemeinbildung. Aber eben auch, so haben auch andere Studien ergeben, einen insgesamt höheren Bildungsstand als zunächst erwartet.

 

Im neuen Jahr wird es darauf ankommen, eines ganz deutlich zu machen: Für Terroristen, die den Status "Flüchtling" als Deckmantel für ihre Machenschaften missbrauchen, kann man hunderttausende Menschen, die schutzsuchend zu uns gekommen sind, am allerwenigsten verantwortlich machen. Wenn sich für uns eine moralische Verpflichtung aus Terrorakten ableitet, dann offen zu bleiben für Menschen, die auf der Flucht sind vor eben jener Gesinnung, die den Bluttaten zugrundeliegt. Und die Politiker sollten ihre Arbeit machen. Die einen, indem sie die Arbeit der Geheimdienste weiter verbessern. Die anderen, indem sie den Geflüchteten die Bildungschancen eröffnen, die sie sich wünschen, und den bereits ausreichend Gebildeten unter ihnen die Möglichkeit, zu der Gesellschaft beizutragen, in der sie jetzt leben. 

 



6. Die Professoren werden wieder mächtig – oder waren

sie es immer?

 

Das Urteil des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshofs war ein Donnerschlag. Die Richter entschieden im November: Der Hochschulrat ist zu mächtig an den Südwest-Hochschulen. Durch die gegenwärtige Gewaltenteilung würden die Professoren in ihrer Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt. Sind die starken Rektorate am Ende? Und sind die Hochschulräte künftig bessere Kaffeekränzchen? „Am überraschendsten an dem Urteil war eigentlich die Überraschung, mit der es aufgenommen wurde“, sagte der Organisationssoziologe Marcel Schütz mir im Gespräch. Schon 1973 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVG) geurteilt, dass bei „Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung oder die Berufung der Hochschullehrer betreffen“, mindestens 51 Prozent der Stimmen im Senat von Professoren stammen müssen, bei Fragen der Lehre 50 Prozent.

 

Doch die Hochschulpolitik hat seitdem in allen Bundesländern auf unterschiedliche Weise die Illusion geschaffen, die 1973 festgelegte Professorenmehrheit lasse sich irgendwie umgehen – durch personelle Kreativität bei der Besetzung der Senate etwa oder noch häufiger, indem Entscheidungskompetenzen einfach ausgelagert wurden. Jetzt bringen die Richter die Hochschulen wieder auf BVG-Kurs – und legen noch eine Schippe drauf, befindet zumindest Baden-Württembergs Wissenschaftsministerium. Denn Professoren im Sinne der Professorenmehrheit sind nur noch die eigens in den Senat gewählten Hochschullehrer. Eine enorme Stärkung der Professoren-„Basis“, wobei zur Wahrheit gehört, dass die Rektoratsmitglieder und Dekane in vielen Ländern schon länger „stimmlos“ sind in den Senaten. Außerdem, so die Einschätzung des Ministeriums, hätten die Richter den Katalog der Entscheidungen, die unmittelbar die Wissenschaftsfreiheit betreffen, erweitert, so dass jetzt auch kleinteiligere haushaltsrechtliche und Budgetentscheidungen gehörten: „Grundlegende ökomische Entscheidungen der Hochschule sind nicht wissenschaftsfern“, befanden die Richter wörtlich.

 

Eine Entscheidung, die über Baden-Württemberg hinaus erhebliche Auswirkungen hat. Die Landesregierungen gehen ihre Hochschulgesetze durch, Hochschulen überall in der Bundesrepublik zählen die Sitzverteilung in den Senaten und studieren das Kleingedruckte in den Satzungen. Wo müssen mehr Professoren rein? Und wer darf bei welchen Fragen mit wie vielen Stimmen entscheiden? 2017 dürfte also das Jahr der Hochschuldemokratie werden – oder der blockierten Governance, je nach Sichtweise. Geht es zum Beispiel nach dem Heidelberger Philosophieprofessor Jens Halfwassen, war das Stuttgarter Urteil erst der Anfang. Das Urteil bedeute "das Ende der Campus-Autokratie und (endlich!) die Rückkehr zu konstitutionellen Verhältnissen", schrieb er als Kommentar zu einem meiner Artikel. Es liefen noch zwei weitere Verfassungsklagen gegen das baden-württembergische Landeshochschulgesetz. "Und gegen einen Akkreditierungsstaatsvertrag (siehe Punkt 8) wird natürlich auch geklagt... Es gibt noch Richter in Stuttgart!"

 



7. Aus der "Exini" wurde die "ExStra", und jetzt
sortiert sich das Feld?

 

Sie wolle den neuen "91b" ziehen, hatte Bundesforschungsministerin Wanka angekündigt, als sie in die Verhandlungen mit den Ländern um die Zukunft der Exzellenzinitiative zog, und meinte damit die neuen Möglichkeiten, nachdem Bund und Länder 2014 das Kooperationsverbot für den Bereich der Hochschulen gelockert haben. Dann kamen das Imboden-Gutachten, Monate zähen Verhandelns mit einem den Hamburgern geschuldeten Show-Down, und am Ende stand die neue Architektur des Eliteuni-Wettbewerbs, der dem alten ähnlicher sah, als die internationalen Experten es empfohlen hatten. Mit ein paar Ausnahmen, darunter diese: Keine Förderlinie mehr für Graduiertenschulen, künftig können sich Universitäten gemeinsam als "Exzellenzuniversitäten" bewerben, und aus der zeitlich befristeten "Initiative" wurde die unbefristete "Strategie". Soll heißen: Gemäß den Möglichkeiten des Grundgesetz-Artikels 91b kann der Wettbewerb jetzt auf unbegrenzte Zeit laufen, und erfolgreiche Exzellenzuniversitäten können immer wieder aufs Neue gefördert werden. Die Exzellenzcluster dagegen haben weiterhin ein Verfallsdatum.

 

Apropos Cluster: Anfang Dezember mussten die Universitäten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegenüber erklären, wie viele Antragsskizzen sie einzureichen gedenken, es wurde eine überraschend niedrige Zahl:  192. Überraschend war auch, dass der große Run auf die neuen Verbundmöglichkeiten auszubleiben scheint. Nur 44 der Cluster wurden von mindestens zwei Universitäten angekündigt. Auch bei den potenziellen Bewerbern in der Förderlinie "Exzellenzuniversitäten" sortiert sich das Feld, und hier ist der Wille Zusammengehen ebenfalls geringer ausgeprägt als politisch erhofft. Gut möglich, dass es am Ende, wenn es denn die gewonnenen Cluster zulassen, nur zwei Zusammenschlüsse geben wird: den Berliner und den der drei Ruhrgebietsuniversitäten. DFG-Präsident Peter Strohschneider hatte im ZEIT-Interview gesagt, mögliche gemeinsame Vorhaben erkläre er sich "auch als Risikovermeidungsstrategie". Doch unter Rektoren gilt es offenbar als größtes Risiko, eine Bewerbungsstrategie zu verfolgen, die als Risikovermeidungsstrategie gebrandmarkt werden könnte. 

 



8. 91b & Co: Da geht noch mehr! 

 

Nochmal 91b: Die Exzellenzinitiative wurde bereits entsprechend umgebaut, der nächste größte Happen wird die Verstetigung des Hochschulpakts sein, mit dem der Bund Milliarden für Studienplätze in die Länder schaufelt. Und die Wissenschaftsminister glauben: Da geht noch mehr. Derzeit verhandelt eine Staatssekretärs-AG in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) über die Anwendung des "91b GG". Die Ergebnisse sollen bis Frühjahr 2017 vorliegen. Größter Streitpunkt: die Finanzierung des Hochschulbaus. Der Bund will nicht mehr mitmachen, die Länder sagen: Ohne den Bund schaffen wir das nicht.

 

Nicht direkt mit dem 91b verknüpft, aber immer mitgedacht, da ebenfalls teuer: die Zukunft des Paktes für Forschung und Innovation, über den die vier außeruniversitären Forschungsorganisationen (Max Planck, Helmholtz, Leibniz und Fraunhofer) sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2006 regelmäßig ein ordentliches Plus kassieren. Erst drei Prozent pro Jahr, dann fünf Prozent, zuletzt wieder drei Prozent. 2020 läuft der Pakt aus – und dann? Verlängern, klar, schallt es aus Bund und Ländern. Aber wie? Seit 2016 zahlt der Bund allein die Zuwächse, das heißt: Bei allen Forschungsorganisationen verschiebt sich auf Dauer der Finanzierungsschlüssel zu Lasten der Bundesregierung. Beispiel Max-Planck-Gesellschaft: Normalerweise zahlen Bund und Länder je die Hälfte. 2020 aber wird der Bund, wenn ich richtig gerechnet habe, gut 56 Prozent der Kosten schultern und die Länder weniger als 44 Prozent. Weshalb alle wissen: In der nächsten Runde müssen die Länder das Plus wieder mitfinanzieren, sonst passen die Finanzierungsanteile nicht mehr zur feinziselierten Governance der Organisationen. Sprich: Die Macht des Bundes in den Gremien müsste aufgewertet werden – was die Länder natürlich nicht wollen. Oder vielleicht doch? Ende 2017 werden wir es wissen. Oder zumindest ahnen. 

 

 

 

9. Der tot geglaubte Streit um Bologna – und wie ein Urteil zur Akkredierungspraxis ihn befördert hat.

 

"Da ist sie wieder!" schrieb ich im Juni in der ZEIT: "Die Debatte um Bachelor und Master ist nicht totzukriegen." Langjährige Gegner der Bologna-Studienreform, die zuletzt leiser geworden waren, stellten plötzlich wieder die Existenzfrage. Warum? Weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis der Akkreditierung von Studiengängen als verfassungswidrig verworfen hatte. Mathias Brodkorb, bis vor wenigen Monaten Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern und Wortführer der Anti-Bologna-Bewegung, sagte mir danach: "Ich wusste, dass es noch eine Gelegenheit geben wird, offen über das Versagen von Bologna zu diskutieren, und zwar in dem Moment, in dem die Verfassungsrichter die rechtliche Grundlage der Akkreditierung infrage stellen."

 

Eine einfache wie wirkungsvolle Logik: Bachelor und Master mögen nicht mehr so unbeliebt sein wie vor ein paar Jahren, aber die Akkreditierung ist es. Also, schloss ich in meinem Artikel, "verknüpft man beides miteinander und behauptet: Die Misere der Akkreditierung ist die Misere von Bologna." Die Kultusminister haben sich davon nicht beeindrucken lassen und Anfang Dezember einen neuen Staatsvertrag zur Akkreditierung beschlossen – wenn auch erst nach einigem Hin und Her. Dass sie sich überhaupt einigen konnten, hat wieder mit Brodkorb zu tun. Der ist nach der Landtagswahl Finanzminister geworden, und seine Nachfolgerin wandelte sein kategorisches "Nein!" in eine Enthaltung um. Das reichte.

 

Übrigens auch dem Deutschen Hochschulverband (DHV), der an der Seite von Brodkorb für die komplette Abschaffung der Akkreditierung kämpfte. Womit wir bei einem der skurrileren Kapitel des abgelaufenen Jahres angelangt wären. In seinem Zorn sagte DHV-Präsident Bernhard Kempen kurzerhand die anstehende Wahl zum/zur "Minister/in des Jahres" ab, weil den DHV-Mitgliedern eine Abstimmung nicht zumutbar sei:  Das "Weiter so" der Akkreditierungspolitik zeige, wie wenig die Wissenschaftsminister eine gute Politik im Sinne der Wissenschaftler betreibe. Drei Tage später wurde dann doch per Akklamation ein Preisträger ernannt: Mathias Brodkorb. Und kurz vor Weihnachten veröffentlichte der DHV eine Allensbach-Studie, demzufolge 79 Prozent der befragten Hochschullehrer finden,der Bologna-Prozess habe zu mehr Bürokratie geführt. Das Fazit des DHV: Die Reform sei "krachend" gescheitert.

 

Die Geschichte geht garantiert weiter. Spätestens wenn die Länder im Januar anfangen, die nötigen Verordnungen zum Akkreditierungs-Staatsvertrag auszuarbeiten. 

 

 


10. Das Tabu Studiengebühren ist keines mehr – ein Glück. 

 

Anfang 2016 habe ich einen umfangreichen Artikel zur Zukunft der Studiengebühren geschrieben. Damals (und wir reden vom vergangenen März!) galt ein Revival des Bezahlstudiums noch als unwahrscheinlich, die Diskussion darüber bei vielen als Tabu. Unter der Oberfläche jedoch sah es anders aus, schrieb ich, da "rumorte es weiter. Offenbar wollte keiner der Erste sein, der sich mit der Forderung nach neuen Studienbeiträgen nach vorn wagte.

 

Das scheint sich jetzt zu ändern." Wie schnell und wie gründlich, das aber hat dann auch mich überrascht. Am 6. Oktober meldete ich: "Vorstoß von Theresia Bauer – Baden-Württemberg will internationale Studenten Gebühren zahlen lassen." Nur sieben Wochen später winkte die Landesregierung den Gesetzentwurf durch. Damit gilt als nahezu sicher, dass Bürger aus Nicht-EU-Staaten vom Wintersemester 2017/2018 an zahlen müssen, wenn sie an einer Hochschule im Südwesten ein Studium aufnehmen wollen. 1500 Euro soll das Semester kosten, 300 Euro davon sollen in eine verbesserte Betreuung der internationalen Studenten fließen.

 

Was für Studieninteressierte aus dem Ausland ein Ärgernis ist, könnte sich für die Bildungspolitik als Gelegenheit erweisen. Schon lange sind sich viele Experten einig, dass eine private Bildungsbeteiligung in Form nachgelagerter Studiengebühren nicht nur sozial gerechter wäre, sondern auch ohne Abschreckungseffekt konstruiert werden könnte. Unterdessen bleiben die programmatischen Bekräftigungen, dass der Staat über das Steuersystem die Unterfinanzierung beenden müsse, seit vielen Jahren leere Versprechungen. Die dank guter Konjunktur sprudelnden Steuereinnahmen landen überall, aber ganz sicher nicht in ausreichender Menge in den Hochschulen.


Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Baden-Württembergs Modell zwei Befürchtungen von Gebühren-Gegnern erfüllt hat: Erstens ist es eben nicht nachgelagert, ein entsprechendes Ausgleichssystem wurde nicht mitbeschlossen. Zweitens gehen die Gebühren größtenteils in das Stopfen von Haushaltslöchern. 

 

Die Botschaft an alle Hochschulpolitiker ist klar: Wenn ihr zu lange wartet und das Finanzministerium euch erstmal, wie in Stuttgart passiert, unter Zugzwang setzt, ist es zu spät. Denkt jetzt über vernünftige Gebührenmodelle nach, denn das Bezahlstudium wird so oder so kommen. Um mit einer wiederum sehr persönlichen Prognose für 2017 zu enden: Solange wir jene, die am meisten von den Hochschulen profitieren, nicht stärker an ihrer Finanzierung beteiligen, und zwar auf direktem Wege, werden wir die akademische Mangelwirtschaft nicht in den Griff bekommen. 

 

...und sonst? Ansonsten bleibt es spannend. Was wird bei dem Wettbewerb "Innovative Hochschule" herauskommen, der Anfang November offiziell gestartet ist? Gelingt in Sachen Wissenschaftlerkarrieren tatsächlich die Trendwende, nachdem im Dezember die Förder-Richtlinie zum "Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses" veröffentlicht wurde? Und: Wer wird eigentlich Ende des Jahres im BMBF sitzen? Zu all diesen – und vielen weiteren – Fragen werden Sie natürlich auch in den nächsten zwölf Monaten an dieser Stelle meine Gedanken und meine Beobachtungen nachlesen können. Ich freue mich drauf. Vor allem aber freue ich mich auf den Austausch mit Ihnen, auf Ihre Anregungen und Hinweise. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute für ein glückliches, gesundes und (im positiven Sinne!) abwechslungsreiches Jahr 2017. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Manfred Ronzheimer (Dienstag, 03 Januar 2017 11:28)

    Sehr schöner Überblick. Ich habe etwas gleiches für den Bereich Forschung und Innovation in Arbeit. Kommt demnächst.

  • #2

    tutnichtszursache (Donnerstag, 05 Januar 2017 11:20)

    Ein kleiner Einwurf zum Thema Studiengebühren, nachgelagert: Theoretisch überzeugt die nachgelagerte Variante sicherlich am meisten. Praktisch muss man sich aber die Erfahrungen in Hamburg, wo es sie einmal gab, ansehen. Bürgermeister Scholz sagte hierzu von längerem, der Verwaltungsaufwand zur Herstellung der gerichtsfesten Einzelfallgerechtigkeit sei so immens gewesen, dass ein Großteil der Einnahmen durch die Verwaltung wieder aufgezehrt worden sei.

  • #3

    GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:38)

    1