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Studienzulassung für Medizin: Bis Mai sollen die Eckpunkte eines neuen Staatsvertrages stehen

In ihrer Sitzung am Donnerstag haben die KMK-Amtschefs den Fahrplan für die Neuformulierung und erste Reformideen diskutiert. Die könnten über die vom Verfassungsgericht geforderten Änderungen hinausgehen.

DIE AMTSCHEFS DER Kultusministerkonferenz (KMK) haben sich bei ihrem Treffen gestern dafür ausgesprochen, dass die Länder die Humanmedizin-Studienplatzvergabe in Eigenregie neu regeln. Der Beschluss ist insofern bemerkenswert, als der Bund bei der Hochschulzulassung ebenfalls Gesetzgebungskompetenz besitzt im Rahmen der konkurrierenden Zuständigkeiten. Doch hat das Bundesbildungsministerium der KMK diese Woche informell signalisiert, dass es den Ländern den Vortritt lassen möchte. 

 

Den Beratungen in der KMK-Amtschefskonferenz vorausgegangen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2017, das die bisherige Praxis bei der Studienplatzvergabe als teilweise verfassungswidrig verworfen hatte. Die gesetzlichen Rahmenvorschriften von Bund und Ländern verletzten den grundrechtlichen Anspruch der Bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot, begründeten die Richter des Ersten Senats ihr Urteil. Außerdem verfehlten die Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die gesetzlichen Anforderungen. Bis zum 31. Dezember 2019 muss die Studienplatzvergabe per Numerus Clausus auf eine neue Grundlage gestellt werden, "welche die verfassungsrechtlichen Beanstandungen beseitigt", heißt es in dem Urteil. 

 

Um die Auflagen des Gerichts zu erfüllen, wollen die Kultusminister den bestehenden Länder-Staatsvertrag zur Hochschulzulassung ändern. Ein Bundesgesetz zur Hochschulzulassung, das die Verfassungsrichter als Möglichkeit explizit erwähnt hatten, ist vor dem Hintergrund äußerst unwahrscheinlich. Auch ein gemeinsamer und rechtlich möglicher Bund-Länder-Staatsvertrag erscheint ausgeschlossen. Denn die Amtschefs machen bereits Tempo: Bis zu ihrer Mai-Sitzung soll der KMK-Hochschulausschuss die Eckpunkte der Neufassung formulieren, die die Amtschefs dann beschließen und direkt an ihre Minister weiterreichen wollen. Den Großteil der konzeptionellen Arbeit wird die eigens eingerichtete KMK-Arbeitsgruppe "Staatsvertrag Hochschulzulassung" erledigen. 

 

In ihrem Zusammentreffen gestern haben die Amtschefs anhand einer Frageliste diskutiert. Kernpunkt der Debatte: Sollen die Länder lediglich die Mängelliste des Verfassungsgerichts abarbeiten im Sinne einer "Minimallösung", oder nutzen sie die Gelegenheit zur einer "Weiterentwicklung mit Gestaltungsmöglichkeiten"? Und wie viel mehr bundesweite Standardisierung ist sinnvoll?

 

Klar ist, dass die von den Verfassungsrichtern heftig kritisierte vorrangige Berücksichtigung der Ortspräferenzen vor Abiturnote und Wartezeit in der sogenannten Abiturbestenquote beseitigt werden muss. Die Vorlage der AG "Staatsvertrag Hochschulzulassung" nennt hier eine Reihe von Möglichkeiten. Entweder könnten die Länder bei der Abiturbestenquote eine gleichzeitige Bewerbung an allen 35 Medizinstandorten bundesweit erlauben. Oder sie könnten die Abiturbestenquote oder gleich alle Quoten (bis auf die Vorabquoten) komplett abschaffen. Denkbar wäre auch, allein die Abiturbestenquote abzuschaffen und das Auswahlverfahren der Hochschulen auf 80 Prozent auszuweiten. Was mit der Wartezeitquote, die derzeit ebenfalls 20 Prozent beträgt, passieren könnte, dazu später mehr.

 

Einig war sich die Länderrunde gestern bereits, dass die Abiturnote als bisher mit Abstand wichtigstes Zulassungskriterium weiter eine – allerdings deutlich geringere – Rolle spielen wird. Das Verfassungsgericht hatte angesichts der mangelnden bundesweiten Vergleichbarkeit der Schulzensuren eine Relativierung ihrer Gewichtung gefordert. Wohl könnten sich einige Wissenschaftsminister noch mehr vorstellen – sprich: ein Zulassungsverfahren ganz ohne Abischnitt – doch drängen vor allem die Schulministerien in der KMK auf Bestandschutz für das Kriterium, weil sie ansonsten eine Entwertung des Abiturs als Abschluss insgesamt fürchten. Unstrittig ist aber, dass es neue Ausgleichsmechanismen zur länderübergreifenden Vergleichbarkeit der Schulzensuren geben muss.

 

Zu den Auflagen des Gerichts gehörte zudem, dass künftig mindestens ein nicht schulnotenbasiertes Eignungskriterium Pflicht wird. Vor wenigen Tagen erst hatte die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DPGs) an die Länder appelliert, "eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung" zu gründen, die "hochwertige standardisierte und strukturierte Leistungsprüfungen für die Zulassungen an staatlichen Hochschulen entwickelt und hilft, die Qualität der Studienplatzvergabe zu verbessern". 

 

Standardisierte Eignungsprüfungen sind in Deutschland immer noch die Ausnahme. Der eigens entwickelte "Test für medizinische Studiengänge" (kurz: Medizinertest) wurde zwischen 1986 und 1996 routinemäßig eingesetzt, dann eine Weile gar nicht, und seit 2007 nutzen ihn, ausgehend von Baden-Württemberg, immer mehr medizinische Fakultäten in Deutschland erneut. Allerdings ist die Teilnahme freiwillig und lediglich eine Möglichkeit, die Chance auf einen Studienplatz zu vergrößern.

 

Da die Beschlüsse der KMK zur Zulassung Experten zufolge auf die Studienplatzvergabe in weiteren NC-beschränkten Fächern ausstrahlen dürften, wird die Debatte über die künftige Bedeutung und Ausgestaltung standardisierter Tests in den nächsten Monaten besonders engagiert geführt werden – was sich in der KMK-Amtschefrunde gestern bereits andeutete. Und Eignungsprüfungen sind nicht die einzige Möglichkeit, die Bedeutung der Abiturnote abzuschwächen. Bereits vergangenes Jahr hatte der zwischen Bund und Ländern vereinbarte "Masterplan Medizinstudium 2020" weitere Eignungskriterien ins Spiel gebracht: vor allem passende berufliche Vorerfahrungen etwa von Krankenpflegern oder Rettungssanitätern. Auch solche Überlegungen ließen sich auf andere Fächer übertragen.

 

Ebenfalls auf der gestern in der KMK-Amtschefskonferenz debattierten Liste stand die Frage, ob die Wartezeitquote beibehalten werden soll oder alternativ ganz wegfallen könnte. Ein schwieriges Thema, hatten doch die Verfassungsrichter überlange Wartezeiten von vier und mehr Jahren als unzulässig erklärt. Üblich sind derzeit 15 Semester. Solche Wartezeiten beeinträchtigen erheblich die Erfolgschancen im Studium und damit die Möglichkeit zur Verwirklichung der Berufswahl, befanden die Richter. Allerdings ist fraglich, ob es wirklich fairer wäre, wenn Bewerber künftig vier Jahre warteten und dann endgültig und ohne Studienplatz aus dem Verfahren flögen. Umgekehrt würde aber auch die ersatzlose Streichung der Quote die Zulassung nicht gerechter und erst recht nicht offener machen. Die Länder diskutieren deshalb unter anderem, ob aus dem Warteverfahren gekippte Bewerber sich künftig erneut über standardisierte Eignungstests bewerben dürfen. 

 

Am Ende zu einer Frage, die sich womöglich als die praktisch bedeutsamste erweisen könnte: Ist das alles zeitlich zu schaffen? Die KMK-AG "Staatsvertrag Hochschulzulassung", bestehend aus hohen Ministeralbeamten der Länder, interpretiert das Verfassungsgerichtsurteil so, dass das neue Zulassungsverfahren bereits zum Sommersemester 2020 greifen müsste. Was bedeutet, dass der neue Staatsvertrag spätestens bis Anfang November 2019 in allen Ländern ratifiziert werden und in Kraft treten müsste – und das unter den erschwerenden Bedingungen von sechs Landtagswahlen bis dahin. Und wenn das gelingt, ist da immer noch die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), die ihre Software für das neue Zulassungsverfahren umschreiben muss. 

 

Die Arbeitsgruppe schlägt vor, von Anfang eine Übergangsregelung in den neuen Staatsvertrag einzubauen, derzufolge das Zulassungsverfahren "mit den bestehenden oder nur rudimentär weiterentwickelten EDV-technischen Gegebenheiten durchgeführt werden kann." Faktisch würde dies bedeuten, dass der neue Staatsvertrag die bisherige Zulassungspraxis auf eine bestimmte Zeit verlängern würde. 

 

Droht dort die nächste Hängepartie? Ursprünglich wollte die SfH bereits bis Ende 2018/19 eine neue Software für die bundesweiten NC-Studiengänge wie Medizin oder Pharmazie an den Start bringen. Doch die Inbetriebnahme des sogenannten DoSV 2.0 wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, wohl auf mindestens 2020/2021. Und das war noch vor dem aktuellen Verfassungsgerichtsurteil. Kein Wunder also, dass die Amtschefs gestern so aufs Tempo drückten. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Leemhuis (Donnerstag, 22 Februar 2018 21:18)

    Super Artikel, vielen Dank für die fundierte Recherche, die den Schleier des Abstimmungsprozesses transparenter macht.

  • #2

    robbre (Sonntag, 04 März 2018 08:23)

    Voll mit der Bewertung einverstanden. Insiderwissen, das man so nirgendwo bekommt. Aber: Wie soll die Stiftung für Hochschulzulassung eingebunden werden, wenn die KMK alles allein machen will? Zur Abinote: Das OVG Münster hat entschieden, dass auch 40% "maßgeblichen Einfluss" haben können, wenn die anderen Quoten weniger als 40% betragen.