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Die Zeichen der Zeit erkennen, ohne dem Zeitgeist zu verfallen

Die Kultusministerkonferenz braucht, um zu alter Stärke zurückzufinden, einen Staatsvertrag. Was sie nicht braucht, ist eine Aufspaltung. Ein Gastbeitrag von Udo Michallik.

Festveranstaltung zu 70 Jahren Kultusministerkonferenz im Januar in Berlin. Foto: Ralf Rühmeier
Festveranstaltung zu 70 Jahren Kultusministerkonferenz im Januar in Berlin. Foto: Ralf Rühmeier

ES WIRD WIEDER politischer in der Bildungscommunity. Die Rolle des Bildungsföderalismus und somit auch die der Kultusministerkonferenz (KMK) wird mit dem schwerbeladenen Wörtchen Reform überzogen. Erwartungen werden geschürt und Forderungen lauter. Dies zeigt, es ist Musik im System.

 

Meine eigene Geschichte im Umgang mit dem Kulturföderalismus ist eine, die bis an den Anfang meiner beruflichen Laufbahn reicht. Als gelernter Historiker darf ich so weit ausholen. Es ist einer der ehernen Grundsätze der Geschichtswissenschaft, dass, wer die Vergangenheit nicht versteht, die Zukunft nicht gestalten kann.

 

1996 wurde in der Kultusministerkonferenz die Geschichte erzählt, die damalige Kultusministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern (M-V), Regine Marquardt, habe in einer Plenumssitzung der KMK vollmundig erklärt, in M-V mit einem Federstrich das 13-jährige Abitur einführen zu können (das heutige G9). Es war die Zeit der ersten großen Koalition im Nordosten der Republik. Diese verhandelte zu dieser Zeit gerade das erste Schulgesetz, das das Schulreformgesetz von 1991 ablöste. Einen jungen Referenten der Koalitionsfraktion empörte das Vorgehen der Landesministerin in der KMK, sich dermaßen über das Parlament zu erheben. Er empfahl der bildungspolitischen Sprecherin seiner Fraktion, Steffie Schnoor, einen Antrag im Landtag zu stellen. Dieser Antrag beinhaltete die permanente Berichtspflicht der Kultusministerin über die Ergebnisse der KMK im Plenum des Landtages und im Bildungsausschuss. Der Antrag wurde von der großen Koalition angenommen und reichte bis in die Jahre, als eben dieser junge Referent selbst als Staatssekretär die Geschicke des Kultusministeriums in Mecklenburg-Vorpommern mitbestimmte.

 

Später stand jener älter gewordene Staatssekretär bei der Novelle des Landeshochschulgesetzes seinerseits einem jungen Landtagsabgeordneten gegenüber, der pointiert das Wirken der KMK in Frage stellte. Ihn interessierte in keiner Weise, dass Deutschland 1999 die Bologna-Erklärung unterzeichnet und ratifiziert hatte. Ebenso wenig wollte er davon wissen, dass die Bundesländer, zwar kritisch, dann aber doch sehr konstruktiv in den ländergemeinsamen Strukturvorgaben die Bologna-Reform vollzogen hatten. Die mühsam gefundene länderübergreifende Vereinbarung, am Ende immerhin einstimmig, habe für ihn als Gesetzgeber keine bindende Wirkung, sondern besitze nur empfehlenden Charakter, sagte der junge Landtagsabgeordnete. Später wurde jener junge Landtagsabgeordnete selbst Kultusminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Seine Einstellung gegenüber Bologna im Besonderen und der KMK im Allgemeinen bescherte der Kultusministerkonferenz dann eine langwierige und aufwändige Auseinandersetzung um den Akkreditierungsstaatsvertrag. Und den nunmehr zum KMK-Generalsekretär aufgestiegenen jungen Referenten von einst traf die Schwachstelle der Kultusministerkonferenz ein zweites Mal mit voller Wucht.

 

Der KMK-Kritiker Mathias Brodkorb, bis 2016 Kultusminister in M-V, hat der Gemeinschaft aber zu Recht ihre Schwäche deutlich gemacht. Und damit auch mir, ihrem Generalsekretär. Die fehlende Verbindlichkeit der Verabredungen zwischen den Ländern in der Kultusministerkonferenz begünstigt in dramatischer Weise ein Auseinanderdriften in Sachfragen. Dieses Auseinanderdriften ist eine Ursache für das Unwohlsein der Bürgerinnen und Bürger mit dem Kulturföderalismus. In Zeiten von erhöhter Mobilität bekommen unterschiedliche Regelungen in den Ländern eine neue Qualität und Aufmerksamkeit. Das öffentliche Gezerre um das Abitur ist dabei nur prominente Facette der Debatte.

 

Zweifelsohne könnten viele andere Protagonisten im Guten wie im gut Gemeinten ähnliche Beispiele wie die von mir berichteten hinzufügen. Meine beiden Geschichten sind für den damaligen Referenten einer Landtagsfraktion und gegenwärtigen Generalsekretär der Kultusministerkonferenz maßgeblich, wenn er heute ein Anhänger der Idee ist, den Parlamentsföderalismus einzubinden und in der Bildungspolitik mit Hilfe eines Staatsvertrages, also eines Gesetzes, die erforderliche Verbindlichkeit ihres Wirkens herzustellen. Solch ein Staatsvertrag hilft vor allem, Verbindlichkeit über Wahlen und Ministerwechsel zu schaffen. Aber letztlich wird es sie immer geben, die Persönlichkeiten aus der Mitte der Parlamente, starke Kultusminister, die darin auch Möglichkeiten sehen, ganz eigen und eigene Projekte in den Mittelpunkt und damit den irgendwann einmal vereinbarten Konsens in Frage zu stellen. In solchen Fällen verweisen sie dann gern auf den Charakter der Vereinbarung, die dann eben nicht durch den Landesgesetzgeber legitimiert und bindend ist. 

 

Insofern haben die heutigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren einen bedeutsamen Schritt vollzogen. Die Fakten und Zeichen der Zeit anzuerkennen und Schlussfolgerungen zu ziehen, ist ein kraftvoller Schritt. 70 Jahre nach ihrer Gründung zur alten Stärke der Kultusministerkonferenz zurückzufinden, ist überfällig. Diese Stärke wird erwartet und kann im Verfassungsgefüge der Republik auch nicht von einem Nationalen Bildungsrat ersetzt werden. Die Länder müssen auch an dieser Stelle die ihr übertragende Verantwortung wahrnehmen. Insofern sind die Länder gut beraten, alle notwendigen Vereinbarungen in einem Staatsvertrag zu treffen, die für Vergleichbarkeit und Mobilität notwendig sind. Werden diese von den Ländern dort nicht getroffen, definieren sie unweigerlich selbst die Betätigungsfelder für den Nationalen Bildungsrat, in dem dann auch der Bund mitwirken wird, aber die Länderparlamente ausgeschlossen werden. Mein Appell geht damit gerade weniger an die Repräsentanten der Exekutiven, sondern vielmehr an die der Landtage, Abgeordnetenhäuser und Bürgerschaften der 16 Länder. Selbst gestalten und nicht nur Durchführungsgesetze für Regelungen des Bundes zu beschließen, das legitimiert die Existenzberechtigung der Länder in einem föderal verfassten Staat.

 

In diese Debatte platzt nun noch der Zeitgeist, der Appell des rheinland-pfälzischen Kulturministers, Kultur aus der Kultusministerkonferenz herauszubrechen. Und der Vorschlag des Berliner Wissenschaftsstaatsekretärs, das selbe mit der Wissenschaft zu tun. Aber auch in diesen Fällen ist es wichtig, institutionell die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir haben uns alle in der Schule mit der Fabel des Äsop beschäftigt: "Die Söhne des Bauern im Streit". Im Kern der Fabel geht es darum, dass wir in der Gemeinschaft stark und unzerbrechlich sind, aber als Einzelne leicht zu brechen.

 

In der KMK haben sich unter der Definition der Kulturhoheit der Länder die Bildung, die Wissenschaft und die Kultur versammelt, um eben diese Kulturhoheit auszugestalten. Dieser umfassende und ineinandergreifende Kulturbegriff ist prägend für unseren Kulturraum. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren sind die Kultusministerkonferenz. Sie alleine bestimmen über die länderübergreifenden Themen, die in ihrer KMK behandelt werden. Das gilt auch für die Wissenschaft und die Kultur gleichermaßen. Es wäre ein lohnenswerter Exkurs, sich in die Entwicklung von Wissenschaft und Kultur in den vergangenen 25 Jahren hineinzuversetzen, in denen das Paradigma der Hochschulautonomie in gleichem Maße den Steuerungsumfang und die Steuerungstiefe der Länderwissenschaftsministerien reduziert hat. Das wird vor allem an dem Umstand deutlich, dass in vielen Ländern zunehmend die Wissenschaftspolitik nicht mehr eigenständig agiert, wie im Saarland, Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Gleiches gilt für die Kultur.

 

Die Zeit der klassischen "Kultusministerien" ist längst vorbei. Gleichwohl, um zu Äsop zurückzukehren: Es ist zu begrüßen, dass einige Wissenschafts- und Kulturpolitiker eine Stärkung "ihres" Profils in der Konferenz einfordern. Das wird aber nicht dadurch passieren, wenn sich beide Bereiche in eigenständigen Konferenzen neu konstituieren. Das wird nur passieren, wenn sie sich über länderübergreifende Themen und Vereinbarungen (!) zu mehr gemeinsamem Handeln verabreden. Passiert genau das nicht, werden sie als eigenständige Konferenzen ganz schnell in Bedeutungslosigkeit fallen oder wie im Fall der Wissenschaft durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) durch den Bund aufgesogen. Das wäre der Preis einer solchen Aufspaltung. 

 

Udo Michallik ist Generalsekretär der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK).

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Kommentare: 1
  • #1

    Klaus Hekking (Dienstag, 27 März 2018 09:28)

    Immerhin räumt Herr Michallik das latente Demokratiedefizit der KMK ein, das ihr zuletzt im Akkreditierungsbeschluss des BVerfG höchstrichterlich attestiert wurde. Dass er mit der Formel vom „Parlamentsföderalismus“ auch die Rechte der Länderparlamente anerkennen will, ist schon fast generös. Verständlich ist auch, dass er die KMK zu alter Stärke zurückführen will, um den teuren Apparat in Bonn und Berlin über die Runden zu retten. Das ändert aber nichts daran, dass Legitimation, Struktur und Aufgaben der KMK komplett überdacht werden müssen. 80 Prozent der Bürger wollen sie abschaffen, staatsrechtlich hat sie keine klare Grundlage, der „Bildungsföderalismus der Länder“ ist längst zu einem „Bund-Länder-Föderalismus“ geworden, in dem der Bund Zahlmeister ist. Nach 70 Jahren ist es an der Zeit, neue Realitäten anzuerkennen und das Duodez-Fürstentumdenken zu überwinden. Das Mindeste ist eine „Bundesbildungskonferenz“ mit klarer verfassungsrechtlicher Grundlage, in der Bund und Länder gemeinsam strategisch planen und entscheiden. Zugleich könnte die Kultusbürokratie reduziert werden, die sich wie Mehltau über das Bildungswesen gelegt hat und sie mit fast 40.000 Vorschriften lähmt