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Bitte ratifizieren Sie jetzt!

In drei Monaten soll die neue Medizin-Studienplatzvergabe starten, doch bislang haben nur drei Bundesländer den dazu nötigen Staatsvertrag offiziell bestätigt. Droht ein chaotischer Übergang?

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe  Foto: Rainer Lück - CC BY-SA 3.0

ES WAR EIN wissenschaftspolitisches Beben ersten Ranges, was das Bundesverfassungsgericht Ende 2017 verkündete: Der Medizin-NC verstößt gegen die Verfassung. Zumindest in seiner bisherigen Fassung. Was folgte, war hektische Betriebsamkeit in der Kultusministerkonferenz (KMK), denn die Richter hatten der Politik eine Deadline gesetzt. Bis 31. Dezember 2019 muss eine neue Regelung Gesetz sein. 

 

Die Kultusminister lieferten, der Staatsvertrag liegt seit Ende 2018 im Prinzip fertig vor, auch die dazu gehörende sogenannte Musterrechtsverordnung steht. Doch jetzt wird es auch für Nicht-Juristen nochmal spannend: Schaffen alle 16 Bundesländer rechtzeitig die nötige Ratifizierung, also die Bestätigung durch die Landesregierungen und -parlamente?

 

Bis Mitte November
ist noch Zeit

 

Bis Mitte November haben die Landesregierungen Zeit, die entsprechenden Urkunden bei der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen zu hinterlegen. NRW deshalb, weil die in Dortmund ansässige Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), besser bekannt unter ihrem Marketingnamen Hochschulstart.de, für die Studienplatzvergabe bundesweit zulassungsbeschränkter Studiengänge (Human-, Zahn- und Tiermedizin, Pharmazie) zuständig ist. Und wie aus der Düsseldorfer Staatskanzlei zu hören ist, haben bislang lediglich drei Länder die Ratifizierung bestätigt. 

 

Der November als Abgabetermin ist so wichtig, weil nur dann der Staatsvertrag zum 1. Dezember in Kraft treten kann. Was wiederum zentral ist, weil zum 1. Dezember Hochschulstart.de am 1. Dezember das neue Online-Bewerbungsverfahren fürs Sommersemester 2020 freischalten soll. Käme das erst im neuen Jahr, wären die Bewerbungsfristen nicht mehr zu halten, und es würde kein rechtssicheres Zulassungsverfahren geben. 

 

Ein Traum für alle Studienbewerber, weil dann möglicherweise alle zugelassen werden müssten. Oder ein Alptraum, weil die Länder die Zulassung fürs Sommersemester komplett aussetzen können. In jedem Fall ein Schreckensszenario für die Universitäten und für die Wissenschaftspolitik. Weshalb die zuständigen Minister derzeit auf keinen Fall "Was wäre, wenn" spielen wollen, sondern demonstrativ davon ausgehen, dass die Ratifizierung hinhaut. Aber im föderalen System reicht eben einer, der es nicht rechtzeitig gebacken bekommt. Oder der womöglich sogar glaubt, mit taktischem Zeitspiel an anderer Stelle etwas herausholen zu können. 

 

Immerhin: Die technische Umsetzung
ist offenbar im Zeitplan

 

Die Stiftung für Hochschulzulassung bestätigt derweil, dass die technische Lösung für die reformierte Studienplatz-Vergabe sich im Zeitplan befinde. "Die Tests sind in vollem Gang und eine Verfahrenssimulation mit ausgewählten Hochschulen wird in Kürze beginnen", sagt SfH-Sprecher Patrick Holtermann. Was, wenn es so kommt, ein großer Erfolg für die Stiftung wäre, die in der Vergangenheit wiederholt durch ein unzureichendes Projektmanagement aufgefallen war – bis die Politik ihr eine tiefgreifende Strukturreform verordnete. Die, so scheint es, beginnt zu wirken. Zwar wird das für Dezember geplante Bewerberportal nur vorläufig sein, die Dauerlösung wird noch mindestens zwei Jahre auf sich warten lassen. Doch das war von Anfang an klar. Auch bei der langfristigen Weiterentwicklung der Online-Studienplatzvergabe komme man wie geplant voran, sagt Holtermann.

 

Es wäre nicht Ironie, wenn die SfH, auf die die Politik so großen Druck ausgeübt hat, damit das neue Verfahren rechtzeitig starten kann, nun liefert – und die Politik selbst nicht.

 

Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) betont indes, aktuell gebe es "keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren nicht rechtzeitig abgeschlossen werden kann." Die Ratifizierung eines Staatsvertrages durch 16 Länder sei immer ein aufwändiger und komplexer Vorgang. "Wegen der anspruchsvollen Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts gilt das in diesem Fall in besonderem Maße."

 

Tatsächlich war sogar absehbar, dass die meisten Länder auf den letzten Drücker ratifizieren würden. Trotzdem ist aus verschiedenen Wissenschaftsministerien hinter vorgehaltener Hand durchaus zu hören, dass man über das Worst-Case-Szenario durchaus schon mal nachdenkt zwischendurch. 

 

Was ändert sich, wenn
alles wie geplant kommt?

 

Die Kurzfassung: Fast alles für fast alle. Erstens: Nach Abzug sogenannter Vorabquoten (Härtefälle, Studienbewerber aus dem Ausland, angehende Landärzte etc.) werden 30 Prozent der Studienplätze anhand des Abiturschnitts vergeben. Bisher waren es nur 20 Prozent. 

 

Zweitens: Eine sogenannte "Eignungsquote" wird neu eingeführt, die besonders engagierten und leistungsstarken Studienbewerbern unabhängig von ihrer Abiturnote eine Chance gibt. Denn bei der Eignungsquote zählen die Schulzensuren gar nicht, dafür aber bestimmte beruflich relevante Vorerfahrungen. Eine Ausbildung als Krankenpfleger oder Rettungssanitäter zum Beispiel.

 

Drittens: Weiter sollen 60 Prozent der Studienplätze von den Hochschulen über eigene Auswahlverfahren vergeben werden, allerdings gibt es auch hier neue Regeln: Neben der Abinote muss künftig mindestens ein schulnotenunabhängiges Kriterium eine erhebliche Bedeutung haben, in den Medizin-Studiengängen muss es sogar mindestens zwei solcher Kriterien geben. Und ein fachspezifischer Studieneignungstest (bei Medizin der sogenannte Medizinertest) wird für alle Bewerber verbindlich. 

 

Für die Abinoten gilt: Weil aber das Bundesverfassungsgericht ihre mangelnde Vergleichbarkeit  von einem Bundesland zum anderen bemängelt hatte, kommt bis auf Weiteres und wann immer die Abinoten als Auswahlkriterium dienen, ein kompliziert berechnetes Ausgleichsverfahren zum Tragen – so dass nicht mehr der nominale Zensurenschnitt entscheidet, sondern der Vergleich zu den übrigen Abiturienten im eigenen Bundesland. 

 

Viertens und am umstrittensten: Die bisher 20 Prozent umfassende Wartezeitquote wird komplett abgeschafft – mit erheblichen Folgen für sogenannte Altbewerber, die zum Teil seit sieben Jahren auf einen Studienplatz gewartet haben und fest davon ausgingen, irgendwann an die Reihe zu kommen. Was sie jetzt nicht mehr garantiert werden. Die Folgen der Umstellung sollen jedoch dadurch abgemildert werden, dass es in einer Übergangszeit von zwei Jahren Extra-Punkte für Wartesemester gibt im Rahmen der neuen Eignungsquote. Die allerdings insgesamt nur zehn Prozent der Studienplätze umfasst. 

 

Welche Auswirkungen das neue Auswahlverfahren konkret hat, wird das erste Mal Anfang 2020 zu beobachten sein, wenn das neue System anläuft. Wenn denn, siehe oben, alles klappt.


Als die ersten Pläne der KMK durchsickerten, die Wartezeitquote abzuschaffen, hagelte es Proteste der Betroffenen. Sie sind bis heute nicht verstummt (siehe einen konkreten Erfahrungsbericht hier). Dass das Urteil des Verfassungsgerichts in sich selbst einen grundlegenden Paradigmenwechsel darstellt, würde es selbst vermutlich nicht abstreiten. Worin genau dieser Paradigmenwechsel besteht, können Sie hier im Interview nachlesen.

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Kommentare: 4
  • #1

    Doc Pepper (Montag, 02 September 2019 18:49)

    Schön wenn die Stiftung öffentlich behauptet, die technische Umsetzung sei im Plan. Die jüngste Verschiebung der angesprochenen Verfahrenssimulation spricht genauso eine andere Sprache, wie fehlende Informationen an Hochschulen und CMS-Hersteller zu Details. Und wieso konnte Herrn Peppers Entwicklungsabteilung eigentlich keine Previews zur Verfügung stellen, obwohl dies bereits für vor zwei Wochen angekündigt war?
    Von daher sollten Sie lieber Herr Wiarda vielleicht noch einmal genauer nachfragen, ob tatsächlich die rechtliche Umsetzung das Problem ist - oder ob sich die Technik dann nur hinter der vermeintlichen rechtlichen Umsetzung versteckt, um eigene Fehler zu verstecken...

    Nicht immer hält ein (Professoren-)Titel, was er verspricht!

  • #2

    Insider? (Dienstag, 03 September 2019 09:54)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,

    recherchieren Sie doch noch einmal etwas mehr an dem Thema - Potential ist genug drin. Und in diesem Text sehe ich kein stichhaltiges Argument, warum die rechtliche Umsetzung Probleme bereiten sollte: Das die Ratifizierung recht häufig erst zum Ende der "Fristen" läuft, ist eher normal.
    Vielmehr sollten Sie noch einmal genauer nachfragen, ob die Technik wirklich "im Plan" ist: Zwar hat Herr Pepper dies recht eloquent an vielen Stellen behauptet (und damit auch manche Ländervertreter "eingewickelt"). Lauffähige Testversionen oder harte Beweise hierfür sind jedoch bislang rar gesäht. Vielmehr hat Herr Pepper bereits in den letzten Monaten immer wieder gebetsmühlenartig (auch öffentlich) die auch hier behauptete Aussage gemacht, dass wenn es scheitert, "die Länder" schuld seien. Und damit sehr geschickt alle Nachfragen nach der technischen Umsetzung abgewehrt (ohne diese Nachfragen zu beantworten). Ganz im Gegenteil: Die Berliner Entwickler (inklusive der Entwicklungsleitung) haben bis heute immer wieder große Probleme, die durchaus komplexen und grundsrechtsrelevanten Fragen der Hochschulzulassung zu verstehen - und müssen dann aufwendig nachentwickeln.

  • #3

    Olaf Bartz (Donnerstag, 05 September 2019 17:36)

    Der Studienakkreditierungsstaatsvertrag, der ebenfalls bis zu einem Jahresende ratifiziert sein musste, passierte die Länderparlamente zumeist in der zweiten Jahreshälfte, abschließend vielfach "erst" im November/Dezember. Wen die "Parlamentstechnik" interessiert: Wir haben, soweit verfügbar, die Vorgangsdokumentationen hier https://www.akkreditierungsrat.de/sites/default/files/downloads/2019/Ratifizierung_des_Studienakkreditierungsstaatsvertrags_in_den_16_Bundeslaendern__Vorgangsdokumentation_.pdf
    verlinkt.
    Entsprechend könnte man aktuell in den 16 Parlamentsdatenbanken nachsehen: Gesetzentwurf eingebracht? In Ausschüsse überwiesen? Was sagt die TO der Ausschüsse? Et cetera.
    In diversen Ländern ist bei "unserem" Staatsvertrag damals der Gesetzentwurf nach der parlamentarischen Sommerpause, also ungefähr jetzt bzw. im September, eingebracht worden. Solange es keine politischen Widerstände gibt, ist dann die rein technische Abwicklung bis Jahresende problemlos möglich.

  • #4

    Olaf Bartz (Donnerstag, 05 September 2019 17:42)

    Nachtrag: Der Studienakkreditierungsstaatsvertrag wurde von den Ministerpräsident/inn/en im Juni 17 unterzeichnet. Der Hochschulzulassungsvertrag im März/April 19. Erst nach Unterzeichnung geht es in die Parlamente.