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Schonfrist bis Ende 2022

Nach ZIM und AiF die nächste Forschungsförder-Baustelle für das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck: Mitgliedsinstitute der Zuse-Gemeinschaft haben das Besserstellungsverbot nicht beachtet. Jetzt droht ihnen der Verlust öffentlicher Gelder.

Screenshot der Zuse-Website.

DIE AMBITIONEN der Ampelkoalition waren groß. "Unser Ziel ist die Stärkung von anwendungsorientierter Forschung und Transfer zur Schaffung und Stärkung regionaler und überregionaler Innovationsökosysteme", schrieben sich SPD, Grüne und FDP in ihren Vertrag. Und: "Wir stärken und entbürokratisieren die Innovationsförderung und -finanzierung." 

 

Die Realität: Der in Wissenschaft und Startup-Szene als Hoffnungsträger gehypte parlamentarische BMBF-Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP)gab Ende Mai sein Amt ab, die Mittel für die geplante "Deutschen Agentur für Transfer und Innovation" (DATI) haben Finanzministerium und Haushaltsausschuss größtenteils gesperrt – bis zur Vorlage eines "schlüssigen Konzepts". Unterdessen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nach fast einem Jahr Förderstopp das Zentrale Innovationsprogramm für den Mittelstand (ZIM) zwar wieder geöffnet – aber mit neuen Zugangsbeschränkungen und Regeln versehen, die in Unternehmen und Forschungsinstituten für Frust sorgen. 

 

Der Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) hat das BMWK den Vertrag zur Durchführung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) gekündigt und mitgeteilt, dass man die Umsetzung der IGF nach 68 Jahren bei der AiF offen ausschreiben wolle. Europaweit. Mitmachen können alle Organisationen, die als Projektträger in Frage kämen. Die AiF-Forschungsvereinigungen sind aufgebracht.

 

Jetzt wird bekannt, dass das BMWK sich auch die gemeinnützigen, aber privatwirtschaftlich organisierten Institute der Zuse-Gemeinschaft vorgenommen hat. Die 77 Forschungseinrichtungen mit rund 5000 Beschäftigten sind über ganz Deutschland verteilt, sie forschen zu unterschiedlichen Technologien, haben aber die Mission gemeinsam: Sie forschen praxisorientiert im Auftrag mittelständischer Unternehmen. Ihr Gesamtbudget 2019: 462 Millionen Euro, davon rund 277 Millionen aus staatlichen Förderprogrammen.

 

"Die Einrichtungen wurden aufgefordert,
einen rechtskonformen Zustand herzustellen"

 

Auf Anfrage bestätigt das Ministerium: "Im Rahmen einer Überprüfung" sei festgestellt worden, dass das Besserstellungsverbot nicht von allen geförderten Zuse-Instituten eingehalten werde. "Die Einrichtungen wurden daher aufgefordert, einen rechtskonformen Zustand herzustellen." Um wie viele der 77 es sich handelt, teilte das Ministerium nicht mit.

 

Das Besserstellungsverbot besagt, dass (auch gemeinnützige) Einrichtungen, die ihre Ausgaben überwiegend aus öffentlicher Projektförderung finanzieren, ihre Mitarbeiter nicht besserstellen – vor allem nicht besser bezahlen! – dürfen als vergleichbare Bundesbedienstete. Auch ihre Führungskräfte nicht. Das Besserstellungsverbot laut Haushaltsgesetz sei "bei allen Projektförderungen des Bundes einzuhalten, damit unter anderem auch in den Förderprogrammen IGF, ZIM und INNO-KOM", sagt eine BMWK-Sprecherin.

 

Mit anderen Worten: Die angemahnten Zuse-Institute müssen ihre Gehaltsstruktur ändern, oder sie sind raus aus den großen Innovationsförderprogrammen. Und viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. "Um die Existenz der häufig in hohem Maße von Fördergeldern abhängigen Einrichtungen nicht zu gefährden, wurde ihnen eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2022 gewährt", teilt die Ministeriumssprecherin weiter mit. 

 

An den betroffenen Instituten ist die Aufregung groß: Man fürchte um den Verlust vieler Führungskräfte, wenn man diese nicht mehr "marktgerecht" bezahlen könne, heißt es im Hintergrund.

 

Für Helmholtz, Max Planck oder Fraunhofer
gelten längst andere Regeln

 

Marktgerecht deshalb, weil das Besserstellungsverbot tatsächlich in der Form längst nicht für alle Wissenschaftseinrichtungen gilt. So erlaubt das 2012 getretene Wissenschaftsfreiheitsgesetz den staatlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen von Helmholtz über Fraunhofer bis Max Planck explizit, ihre Wissenschaftler und Forschungsmanager besser als Staatsbedienstete zu bezahlen und trotzdem Zuwendungen beziehen zu können. 

 

Im Detail äußern will man sich bei der Zuse-Gemeinschaft indes nicht. Es finde mit Blick auf die aktuelle Entwicklung unter anderem bei ZIM

"derzeit wieder eine Überprüfung der Sach- und Rechtslage statt", sagt ein Sprecher. Der Überprüfungsprozess sei noch nicht abgeschlossen, valide Ergebnisse lägen noch nicht vor. Deshalb sehe sich die Zuse-Gemeinschaft "mit Blick auf die laufende Überprüfung zum derzeitigen Augenblick außerstande, Ihre Fragen zu beantworten ". 

 

Eine Lösungsmöglichkeit wäre, dass die betroffenen Institute beim Bundesfinanzministerium (BMF) eine Ausnahmegenehmigung beantragen, doch höhere Vergütungen zahlen zu dürfen. Hierfür bleibt ihnen, siehe oben, bis Ende 2022 Zeit. Bislang, so ist zu hören, habe jedoch noch kein Zuse-Institut die Genehmigung erhalten. 

 

Im BMWK heißt es lediglich, für das Wissenschaftsfreiheitsgesetz sei das BMBF Ansprechpartner, für die Ausnahmegenehmigung das BMF. 

 

Die Zuse-Institute müssen
sich Fragen gefallen lassen

 

Unterdessen müssen sich die Zuse-Institute Fragen gefallen lassen. Waren sie sich nicht bewusst, dass das Besserstellungsverbot auch für sie gilt, oder dachten sie, die Schieflage bemerke im BMWK keiner? Wann und wie oft haben sie sich in den Vorjahren um eine Lösung mit dem BMF bemüht? 

 

Dass das BMWK auf eine juristisch konforme Umsetzung drängt, ist nicht nur verständlich, sondern ginge für eine staatliche Behörde gar nicht anders. Auch gegenüber der AiF argumentierten die Ministerialbeamten, sie müssten vergaberechtlich aufräumen. Und bei der ZIM-Reform argumentiert Ministeriumsmitarbeiter im Hintergrund, die neuen Regeln seien auch dafür gedacht, um langfristige Verkrustungen zu beseitigen.

 

Tut das Bundeswirtschaftsministerium mit der neuen Hausleitung unter Robert Habeck (Grüne) also endlich das, was es schon vorher hätte tun sollen: Es räumt auf, auch wenn das mitunter unbequem werden kann?

 

Bei der AiF und bei den Zuse-Instituten werden sie dies nicht so empfinden. Hier warnt man vor allem vor dem Schaden für Forschung und Innovation, die die Ampel doch so dynamisch voranbringen wollte. 

 

Viel reden tut also Not. Das tun wir längst, heißt es aus dem BMWK: "Sowohl mit der Zuse-Gemeinschaft als auch mit dem BMF wurden Gespräche geführt." Aber: "Über interne Gespräche geben wir grundsätzlich keine Auskunft."


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Kommentare: 4
  • #1

    Klaus Diepold (Montag, 05 September 2022 09:36)

    Meinungsstarke Persönlichkeiten haben in der jüngeren Vergangenheit wiederholt auf die Innovationsschwäche Deutschlands hingewiesen. Diese gälte es zu beseitigen. Richtig.

    Scheinbar haben die für die Innovation zuständigen "fetten Katzen" ihren Auftrag unzureichend erfüllt und schreien jetzt auf, dass die Innovation in Deutschland gefärdert sei, wenn Zusegemeinschaft und AiF beschnitten werden sollten. Irgendwie drängt sich einem der Gedanke auf, dass durch einen radikalen Umbau vor allem die Beharrungskräfte (vulgo Trägheit) in Deutschland gefährdet werden.

  • #2

    Liberaler (Montag, 05 September 2022 14:01)

    @Diepold

    Richtig. Wenigstens räumt das BMWK bei bestehenden, aber erfolglosen Programmen auf. Das BMBF sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Nur markig zu reden wie Th. Sattelberger, in der Tat eine "meinungsstarke Persönlichkeit", reicht eben nicht: Man muß handeln. Wie Amerikaner sagen würden: It's not enough to talk the talk. You've gotta walk the walk.

  • #3

    Th. Klein (Mittwoch, 07 September 2022 08:32)

    "Tut das Bundeswirtschaftsministerium mit der neuen Hausleitung unter Robert Habeck (Grüne) also endlich das, was es schon vorher hätte tun sollen."

    Dies der Hausleitung zuzuweisen, ist vielleicht etwas voreilig. Was hat der Minister oder seine Staatssekretäre mit diesen Vergabeverfahren zu tun, der Fokus liegt doch (derzeit) ganz woanders. Wer räumt da gerade eigentlich auf? Gibt es dazu Informationen? Gab es auf der Ebene der Abteilungsleitungen eine entsprechende Neubesetzung? Was sind ggf. deren Motive? Dies fände ich spannend zu erfahren.

  • #4

    ZIM_Forscher (Donnerstag, 08 September 2022 10:39)

    Das ZIM-Programm bedarf unbedingt einer Überarbeitung. In der jetzigen Form ist es Planwirtschaft in Reinform und für kleine, innovative Hochschul-Labore nur mit viel Glück zu bewerkstelligen. Dabei ist es schon bezeichnend, dass man zur Antragsstellung eine externe Unternehmensberatung benötigt, um überhaupt eine Chance zu haben. Die Durchführung selbst ist geprägt durch einen aggressiven „Kasernenton“ gegenüber den Forschenden und „verrückten“, überbürokratischen Forderungen. Es ist schon bezeichnend, wenn Mitarbeitende aus der Hochschulverwaltung die Antragstellenden bitten, nicht nochmal ein ZIM-Projekt zu beantragen.
    Die richtig großen Bürokratiemonster (aka „fette Katzen") kommen mit diesem System natürlich gut zurecht und die echten Innovationsträger werden vergrault (ist vielleicht auch so gewollt ist).