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Politik gegen die eigenen Interessen

Eine Debatte über Studiengebühren für internationale Studierende in einem ostdeutschen Bundesland? Passt in die Zeit – und wäre extrem schädlich für den Standort. Trotzdem will Sachsen-Anhalts CDU sie am liebsten auf Bundesebene eskalieren.
Illustration vier Studenten unterschiedlicher Hautfarbe über ein Papier gebeugt, diskutierend.

Grafik: Open Clipart-Vectors / pixabay.

ES WAR EIN EIGENARTIGES ANLIEGEN, das die CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt da hatte. Unter der Überschrift "Zukunft gestalten – Studienchancen für internationale Studierende mit Landesinteresse verbinden" beantragte sie Anfang Juni eine Aktuelle Stunde. Fast jeder fünfte Studierende im Bundesland stamme aus dem Ausland – mit steigender Tendenz. Davon sind 92 Prozent Nicht-EU-Studierende.

Die stärkste Regierungsfraktion argumentierte: So positiv das grundsätzlich zu bewerten sei – Stichwort internationale Sichtbarkeit von Sachsen-Anhalts Hochschulen oder Fachkräftesicherung – so werfe die aktuelle Praxis Fragen zur Finanzierbarkeit unseres Hochschulsystems und seiner strategischen Ausrichtung auf. Denn auch Nicht-EU-Studierende zahlen keine Gebühren, sind nach Studienabschluss weder zum Bleiben verpflichtet noch müssen sie die Kosten der Ausbildung in anderer Form kompensieren.

Die Schlussfolgerung laut CDU: Es brauche eine "stärkere strategische Steuerung": Der tatsächliche Fachkräftebedarf müsse stärker gewichtet und die Rolle der Hochschulen für die Landesentwicklung neu diskutiert werden.

Ein Hochschulsystem am Scheideweg

Was den Antrag eigenartig machte: Es gibt mittlerweile so wenig junge Leute in Sachsen-Anhalt, und zu wenige aus anderen Bundesländern kommen hierher zum Studieren, dass die Hochschulen ohne den Auslands-Zustrom längst massiv schrumpfen würden. Stattdessen konnten sie ihre Studierendenzahl in den vergangenen 15 Jahren weitgehend stabil halten. Bislang.

Noch entscheidender aber ist, dass damit mehr als der Selbsterhaltungstrieb der Hochschulen befriedigt wird. Zuletzt hat eine Modellrechnung des IW Köln ergeben, dass internationale Studienanfänger dem deutschen Staat im Schnitt achtmal so viel Einnahmen bringen, wie ihn vorher ihr Studium kostet – an Wirtschaftswachstum, Steuereinnahmen, Einzahlungen in die Sozialversicherung.

Bei den gegenwärtigen deutschen Bleibequoten, die im internationalen Vergleich sehr hoch liegen: Nach zehn Jahren sind noch 46 Prozent vor Ort, "Spitzenklasse weltweit", wie DAAD-Sprecher Michael Flacke im MDR ausführte. "Gemeinsam mit Kanada führen wir das Ranking an."

Die CDU in Sachsen-Anhalt dürfte all das schon gewusst haben, bevor sie vergangene Woche ihre Aktuelle Stunde bekam. Um dann dort mit weiteren Fakten versorgt zu werden. Etwa, dass laut Wissenschaftsministerium inzwischen sogar 22 Prozent der Studierenden aus dem Ausland stammten (wobei der gestiegene Anteil vor allem darauf zurückgeht, dass die Zahl der einheimischen Studierenden zuletzt stark gefallen ist).

Oder dass, wie Koalitionspartner und SPD-Wissenschaftsminister Armin Willingmann ausführte, auch in ihre Heimatländer zurückgekehrte Absolventen einen wirtschaftlichen Gewinn bedeuten, etwa als "erste Ansprechpartner für unsere Unternehmen, die im Export tätig sind oder ins Ausland investieren wollen."

Im Trüben fischen vor der Landtagswahl?

Warum also dieser Antrag, und warum gerade jetzt? Handelte es sich am Ende doch um einen zeitgeistigen Versuch, angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahl im Trüben zu fischen? Immerhin erreichte die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt 37,1 Prozent, gefolgt von der CDU mit gerade mal 19,2 Prozent. Wer in solch einer Situation internationale Studierende und Landesinteressen in ein vermeintliches Spannungsfeld setzt, muss eigentlich wissen, was er tut.

Willingmann, der gerade vom SPD-Landesvorstand als Spitzenkandidat nominiert wurde, sagt auf Anfrage, besonders bedauerlich sei, "dass hier wenig Verständnis für unsere Hochschulfinanzierung und -strukturen, dafür umso mehr der Eindruck erstaunlicher Nähe zu einer 'Wir-zuerst-Politik' entsteht." Eine selektive Studiengebühr für ausländische Studierende, die im Endeffekt nur Abschreckungscharakter habe, können wir uns in Sachsen-Anhalt nicht leisten – und mit mir wird es sie nicht geben."

Doch versicherte Ex-Bildungsminister Marco Tullner (CDU) laut dpa, es gehe nicht darum, Studierende aus dem Ausland abzuschrecken. Das Ziel müsse sein, das Hochschulsystem mit Blick auf die kommenden Jahre finanziell zu stabilisieren sowie "ausländische Studierende hier zu halten und zu unseren Fachkräften von morgen zu machen." Bei den Uni-Rektoren im Land habe er eine große Bereitschaft für diese Debatte wahrgenommen.

Wann, wo und wie Studiengebühren sinnvoll sein können

Das Paradoxe ist, dass Studiengebühren für ausländische Studierende in Deutschland tatsächlich Sinn ergeben können – wenn sie etwa an Hochschulen erhoben werden, die in der internationalen Spitzengruppe mitspielen und in Regionen liegen, die besonders dynamisch wachsen. Insofern ist es kein Wunder, dass Bayern all seinen Hochschulen Gebühren für internationale Studierende erlaubt hat, aber nur die TU München davon Gebrauch macht (wie erfolgreich, ist noch nicht geklärt). In Sachsen, wo eine ähnliche Regelung gilt, tun das lediglich die beiden Musikhochschulen.

Voraussetzung ist dann auch, dass das eingenommene Geld eins zu eins in die Hochschule investiert wird – hier besonders in die Betreuung internationaler Studierender, deren Abbruchquote doch viel zu hoch liegt (was die wirkliche Ressourcenverschwendung ist). Oder in Stipendien für Bewerber aus einkommensschwachen Familien und Ländern. Oder in mehr erschwingliche Deutschkurse, von denen es an vielen Hochschulen viel zu wenige gibt.

Das einzige Bundesland, das vor Jahren Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende flächendeckend etablierte, Baden-Württemberg, hat das aus Haushaltsnot heraus getan und 80 Prozent der Gebühren einbehalten. Der Preis war, dass die internationalen Einschreibezahlen im Südwesten seitdem stagnierten, teilweise sogar zurückgingen – während sie sonst fast überall in Deutschland, auch in Sachsen-Anhalt, hochgingen.

Mit dem Ergebnis, dass zuletzt starker Druck aus den Unternehmen kam – Stichwort Fachkräftemangel – und die baden-württembergische CDU-Fraktion sich als erste der schwarz-grünen Koalitionspartner für die Abschaffung starkmachte. Die dann jedoch wiederum aus Spargründen ausblieb.

Weshalb ich seit Langem zwar für ein völlig anders gelagertes, faires, sozial verträgliches und für alle – In- und Ausländer – gleichermaßen geltendes Studiengebührensystem eintrete, aber ebenso lange sage: Einführen darf man sie nur in guten Zeiten und nie aus der Not heraus. Denn gut gemacht sparen sie dem Staat keinen Euro, sondern kosten ihn über Zinssubventionen und Ausfallbürgschaften langfristig sogar viel Geld – bringen aber den Hochschulen eben mehr.

Nochmals: Die Zeit für eine solche Debatte ist sicher nicht jetzt, nicht in dieser wirtschaftlichen, nicht in dieser politischen Situation. Nicht in Deutschland und ganz sicher nicht in Sachsen-Anhalt.

Leidet Deutschland unter einer Selbsttäuschung?

Auf Bundesebene wollen einige in der CDU das Thema aber offenbar trotzdem weiterbespielen. Welch sonderbarer Gegensatz zur sonstigen "Roten-Teppich"-Rhetorik gegenüber internationalen Studierenden und Forschenden aus den USA.

In der Bild (Überschrift: "Vorstoß aus der CDU: Kein Gratis-Studium mehr für Ausländer!") ließ sich der stellvertretende Unionsvorsitzende im Bundestag, Sepp Müller, mit dem Statement zitieren, er begrüße den Vorschlag aus Sachsen-Anhalt ausdrücklich, und sprach insbesondere bei in Deutschland ausgebildeten Ärzten von "millionenschweren Subventionen, die wir verschenken und von denen wir nichts haben." Was die Frage aufwirft, ob das nicht umgekehrt auch für die Heimatländer der tausenden Ärzte aus Syrien, Russland oder der Türkei gilt, die bei uns arbeiten.

Müller hat übrigens seinen Wahlkreis in Sachsen-Anhalt. Seine Forderung: "Wer hier studiert, soll mindestens fünf Jahre auf dem Land praktizieren. Wer das nicht will, muss die Kosten dieser erstklassigen Ausbildung zurückzahlen."

Vielleicht wäre es eine geeignetere Herangehensweise, sich als Bundesland so weltoffen zu geben, dass noch mehr internationale Talente hierher nicht nur zum Studium kommen, sondern von sich aus bleiben wollen. Ein Punkt, bei dem Minister Willingmann Nachholbedarf eingeräumt hat.

Deutschland scheint hier insgesamt unter einer Selbsttäuschung zu leiden, wie Henrik Müller im Manager Magazin mit Verweis auf eine gerade erschienene Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schrieb: "Je besser ausgebildet die Zugewanderten sind, je höher ihr Gehalt und je besser ihre Sprachkenntnisse, desto eher überlegen sie, Deutschland wieder zu verlassen. Gerade unter Hochqualifizierten in zukunftsträchtigen, technologieintensiven Branchen sind viele auf dem Sprung." Die Gründe: hohe Steuern, viel Bürokratie, stagnierende Wirtschaft, ein besserer Lifestyle anderswo. Und wie Müller es formuliert: "Offenkundig erleben viele die politische Stimmung als ablehnend bis bedrohlich."

Ein Anfang dazu, das zu ändern, wäre, die richtigen Debatten zur richtigen Zeit zu führen – und die falschen zu lassen.

Kommentare

#1 -

Hermann H. Dieter | Sa., 12.07.2025 - 13:18

Ausländer (m/w/d), egal woher, die hier gebührenfrei studieren dürfen, sollten zumindest eine Verpflichtung auferlegt bekommen: Unsere Landessprache dabei so weit zu erlernen, dass sie auf fachlich qualifiziertem Niveau mit der Öffentlichkeit, mit Patienten, mit Spezialisten anderer Fächer und Berufsgruppen kommunizieren können. Internationale Kommunikation auf ein mehr oder weniger reduziertes Englisch lernen sie, wenn nötig, während des Studiums hoffentlich sowieso. Auf Englisch international zu kommunizieren, ist längst kein Alleinstellungsmerkmal der Wissenschaft mehr, war dies eigentlich nie, obwohl ihre Institutionen es in täuschender Absicht (?) für sich als solches bewerben. 

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