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Nach zehn Jahren immer noch im Aufbau

Seit 2009 soll das DoSV die Studienplatzvergabe revolutionieren. Die NC-Neuregelung in Medizin legt nun erneut alle Schwächen der Digital-Plattform offen.

ALLE REDEN ÜBER die Zukunft der Studienplatzvergabe in Medizin & Co, doch die Zukunft hat eine zehn Jahre alte Digital-Misere im Gepäck. Und diese Misere hat einen Namen und eine Abkürzung: Dialogorientiertes Serviceverfahren (DoSV).

 

Der Reihe nach:  Im Dezember 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht den Numerus Clausus im Medizinstudium in seiner bisherigen Form für teilweise nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Bis zum 31. Dezember 2019 müsse die Medizin-Studienplatzvergabe auf eine neue Grundlage gestellt werden, "welche die verfassungsrechtlichen Beanstandungen beseitigt", verfügten die Richter. Genau ein Jahr später haben die Kultusminister jetzt kurz vor Weinachten den Entwurf eines neuen Staatsvertrages beschlossen. Damit ist wahrscheinlicher geworden, dass die Politik es schafft, die Vorgaben des Verfassungsgerichts einzuhalten und die Neuregelung zum Sommersemester 2020 in Kraft treten zu lassen. Jetzt sind noch die Finanzminister dran, und die Ministerpräsidenten müssen den Vertrag auch noch absegnen.

 

Eines steht allerdings schon länger fest: Die Reform mag pünktlich kommen, doch die für die Abwicklung der Bewerbungen notwendige Technik wird es nicht. Die Kultusminister haben deshalb wie erwartet – und das notgedrungen – auch beschlossen, die Online-Plattform Hochschulstart.de mit einer Übergangslösung in die NC-Reform gehen zu lassen. 

 

Hinter Hochschulstart.de steht die sogenannte Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), die von Ländern und Hochschulen gemeinsam verantwortet wird. Schon Anfang 2018 und damit wenige Wochen nach dem Urteil der Verfassungsrichter war klar, dass die SfH die nötige Software komplett neu schreiben lassen muss und dass das nicht bis zum Bewerbungsstart Ende 2019 klappen wird. Deshalb war vor Monaten ein zwei Millionen Euro schwerer Auftrag für eine Übergangslösung vergeben worden. 

 

Die Stiftung dokterte Jahre lang an einer
Software für Medizin & Co herum

 

Was auf den ersten Blick nachvollziehbar sein mag, ist es auf den zweiten deutlich weniger, wenn man bedenkt, dass die Stiftung schon vor dem Urteil Jahre lang an einer neuen Software herumgedoktert hatte, die die Medizin- Bewerbungen neu administrieren sollte. Eigens zu diesem Zweck war sogar eine Software-Schmiede in Berlin eingerichtet worden. Das Ziel: Unter dem Label "DoSV 2.0" sollten zum Sommersemestern 2018/19 die Medizin-Studiengänge und die Pharmazie (das sind einzigen Fächer mit bundesweiten NC und jene, die jetzt auch von der Reform betroffen sind) in das seit 2009 entstandene Online-Vergabesystem einbezogen worden. Das firmiert intern unter der Bezeichnung "DoSV 1.0" und verwaltet bislang die Bewerbungen in den Fächern mit lokalen Zugangsbeschränkungen. 

 

Doch im Dezember 2016 – ebenfalls lange vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts im Dezember 2017 – hatte der damalige SfH-Geschäftsführer Ulf Bade erhebliche Terminverzögerungen bei DoSV 2.0 eingestanden, übrigens erst auf beharrliche Nachfragen aus dem Stiftungsrat, dem Aufsichtsorgan der Stiftung. Die Inbetriebnahme wurde daraufhin auf unbestimmte Zeit verschoben. Zynisch könnte man behaupten: Das NC-Urteil kam der Stiftung dann ganz recht, denn so hatte sie plötzlich einen Grund, nochmal ein paar Jahre mehr brauchen zu dürfen. Interessant wäre zu erfahren, wieviel Geld bis Dezember 2017 bereits in die Entwicklungsarbeit von DoSV 2.0 geflossen ist. Für die übrigens derselbe Software-Dienstleister beauftragt wurde, der jetzt auch wieder den Zuschlag für die Übergangslösung bekommen hat. 

 

Was sich bereits nach einem hochschulpolitischen Fiasko anhört, ist aber eigentlich nur der kleinere Teil der Geschichte. Denn während DoSV 2.0 den Zugang zu vier Studiengängen (Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie) regeln sollte, war das Dialogorientierte Serviceverfahren in seiner 1.0-Version mit dem Anspruch entwickelt worden, möglichst alle in Frage kommenden Hochschulen und Studiengänge einzubeziehen, und das möglichst schnell. Und wie gesagt: Die Entwicklung begann 2009. 

 

Seit einem Jahrzehnt läuft die Stiftung
ihren eigenen Ankündigungen hinterher

 

Doch auch hier läuft die Stiftung seit vielen Jahren ihren eigenen Ankündigungen hinter. Ursprünglich sollte die DoSV-Vollanbindung der Hochschulen 2012/13 klappen (schon das war ein Ausweichtermin), dann hieß es lange Zeit: Es wird zum Wintersemester 2018/19 etwas. Im Sommer 2017 musste die Stiftung erneut zugeben: Das wird wieder nichts. Als neues Ziel wurde das Wintersemester 2020/21 angegeben. 

 

Jetzt wird klar: Selbst das dürfte nicht zu schaffen sein. Die SfH berichtete den Wissenschaftsministern vor kurzem, dass zum laufenden Wintersemester 161 Hochschulen am DoSV teilnähmen und damit immerhin 32 mehr als im Vorjahr. Da das Vergabesystem für deutschlandweit für etwa 175 Hochschulen in Frage komme, sei damit eine Quote von über 90 Prozent erreicht. Inzwischen sind 1782 Studiengänge beim DoSV dabei, im Vorjahr waren es 1083 – von insgesamt mehr als 4000, die in Frage kommen. Auch das klingt nach einem gewaltigen Sprung. Doch das eigentliche Problem zeigt sich, wenn man genauer hinschaut: Das Wachstum geht fast ausschließlich auf die technisch einfacher einzubindenden Ein-Fach-Studienangebote zurück. Bei den Mehr-Fach-Studiengängen (zum Beispiel praktisch alle von einem NC betroffenen Lehramts-Fächer) ist die Bilanz dagegen weiter katastrophal. Ganze 155 von ihnen waren dieses Wintersemester im DoSV – 57 mehr als im Vorjahr.

 

Welcher Prozentsatz der Mehr-Fach-Studiengänge damit abgedeckt wird, ist unklar, weil die SfH in ihren Berichten keine Vergleichsgröße angibt. Laut Umfrage von Brandenburgs Wissenschaftsministerium allerdings waren 2017 nur zwei Prozent der erfassten Mehrfachstudiengänge in DoSV eingebunden – gegenüber immerhin rund 37 Prozent bei den Einfachstudiengängen. 

 

Die allermeisten Mehr-Fach-Studiengänge bleiben also bei Hochschulstart.de weiter außen vor – und das trotz erheblicher Bemühungen der SfH, mehr Hochschulen und Studiengänge zum Mitmachen zu überreden. Es fehlt offenbar an Vertrauen gegenüber der Technologie: Seit Jahren klagen viele Hochschulen darüber, dass die Anbindung zwischen der lokalen Hochschulsoftware und dem DoSV nicht oder nur teilweise funktioniere. Seitens der Stiftung heißt es dagegen seit längerem, die Probleme seien behoben.

 

An der Zahl der DoSV-Mehr-Fach-Studiengänge könnte sich womöglich auch demnächst wenig ändern, denn die Stiftung wird jetzt erst einen Großteil ihrer Kräfte dafür einsetzen, die Übergangslösung für Medizin & Co irgendwie hinzubekommen. Denn hier ist der politische Druck derzeit am größten. 

 

Endlich geht die Politik
die SfH-Misere beherzt an

 

Zugute halten kann man der Politik, dass sie die Misere der Stiftung nach langem Zögern seit Ende 2017 beherzt angegangen ist. Initiatorin war Brandenburgs Wissenschaftsstaatsekretärin Ulrike Gutheil, die zugleich eine von zwei SfH-Stiftungsratsvorsitzenden ist. Im Mai 2018 beschloss der Stiftungsrat mit großer Mehrheit die Abberufung des langjährigen Geschäftsführers Ulf Bade. Gleichzeitig segnete das Aufsichtsgremium eine umfassende Organisationsreform für die Stiftung ab. Die dafür nötige Novellierung des SfH-Errichtungsgesetzes liegt inzwischen in Eckpunkten vor und soll im Frühjahr vom für die Stiftung zuständigen nordrhein-westfälischen Landtag beschlossen werden. Schon jetzt arbeitet eine neue Führung auf vorübergehender Basis. 

 

Es ist zu hoffen, dass die Stiftung damit rechtzeitig auf die Beine kommt – rechtzeitig, damit a) eine akzeptable Übergangslösung für die Medizin-Studienplatzvergabe gelingt und dann aus dieser Übergangslösung b) keine Dauereinrichtung wird. Schließlich wäre es c) wünschenswert, wenn irgendwann auch mal das bald zehn Jahre alte DoSV 1.0 über den Berg wäre. Viele Wünsche. Aber es war ja auch gerade Weihnachten.