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Warum "4+2" nicht gleich "2+4" ist

Der Referentenentwurf des WissZeitVG ist ein reiner Arbeitgeberentwurf. Das kann nicht so bleiben. Ein Gastbeitrag von Jennifer Henke, Lutz Böhm und Michael Gerloff.

Lutz Böhm ist PostDoc am Fachgebiet Verfahrenstechnik der TU Berlin und aktiv in der akademischen Selbstverwaltung, Jennifer Henke ist Vertretungsprofessorin für Anglophone Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Greifswald und setzt sich in den sozialen Medien für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ein, Michael Gerloff promoviert am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und engagiert sich bei SPDWissPol und NGAWiss (von links). Fotos: privat.

AM DIENSTAG hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einer nichtöffentlichen Pressekonferenz seinen Referentenentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) präsentiert. Wir stellen fest: Bei der seit März strittigen Frage der Befristung in der Postdoc-Phase hat die Allianz der Wissenschaftsorganisationen (AdW) ihren Vorschlag durchgesetzt. 

 

De facto verkürzt das AdW-Modell die Höchstbefristungsdauer von sechs auf vier Jahre, wobei nicht absehbar ist, dass die Möglichkeit zur nachfolgenden Anstellung mit Anschlusszusage in signifikantem Maße bereitgestellt wird. Klar ist, dass der erneute Versuch, das WissZeitVG zu reformieren, die Kritik von "#IchBinHanna" und "#IchBinReyhan" nicht aufnimmt. Letztendlich handelt es sich nur um einen reinen Arbeitgeberentwurf. 

 

Dabei mangelt es nicht an konstruktiven, finanzierbaren und attraktiven Alternativen – wie etwa das durch Simon Pschorr entworfene Modell der Anschlusszusage nach einer maximal zweijährigen Postdoc-Phase. Weite Teile der "#IchBinHanna"/"#IchBinReyhan"-Community und die SPD-Bundestagsfraktion schlossen sich diesem Vorschlag an. Darüber hinaus sprach sich eine breite Koalition, bestehend aus Gewerkschaften, Vertretungen der Studierenden, Promovierenden, Promovierten und Juniorprofessor:innen sowie weitere Netzwerke für eine möglichst frühe verpflichtende Anschlusszusage nach der Promotion aus. Der Beschluss "Faire Arbeitsverträge in der Wissenschaft!" der Grünen forderte dies ebenfalls. 

 

Stattdessen griff das BMBF auf das Modell der AdW zurück, das eine Anschlusszusage erst nach einer vierjährigen Postdoc-Phase vorsieht. Anschlussmodell gleich Anschlussmodell? Nein. Die Modelle nach Pschorr und AdW sind miteinander unvereinbar. Entgegen der mathematischen Logik sind "4+2" eben nicht gleich "2+4".

 

Während das von Pschorr entworfene Modell Anreize schafft, Stellen überhaupt mit einer Anschlusszusage zu versehen, fehlen diese beim AdW-Modell vollständig.

 

Den Beschäftigten bleibt eine entfristete
Alternative im Mittelbau weiter versagt

 

Den Beschäftigten bleibt nach letzterem eine entfristete Alternative im Mittelbau also weiter versagt. Darüber hinaus wird ein signifikanter Anteil der Daueraufgaben der Akademie auch künftig vom überwiegend befristeten Mittelbau ohne verlässliche Karriereperspektive übernommen. Das promovierte Mittelbaupersonal wird einfach alle vier statt sechs Jahre ausgetauscht werden. 

 

Im "4+2"-Modell der AdW ist ferner nicht davon auszugehen, dass bereits nach 4 Jahren die Berufbarkeit auf eine Professur erfolgt. Die Berufungsfähigkeit müssen die Betroffenen nach Ablauf der vierjährigen Höchstbefristungsphase somit entweder auf Arbeitslosengeld oder auf Drittmittelprojekten erreichen.Dies lädt zum Machtmissbrauch ein: Bereits heute werden zur Wahrung der Chancen auf einen positiven Bescheid Drittmittelanträge von Postdocs geschrieben, aber von Professor:innen eingereicht, die dann wiederum diese Postdocs einstellen. 

 

Ferner stellt sich die Frage, was in der zweijährigen Phase mit Anschlusszusage nach AdW-Modell überhaupt evaluiert werden soll, was nicht vorher schon geleistet wurde. Dies wäre beim "2+4"-Modell nach Pschorr nicht der Fall. 

 

Darüber hinaus böte die Ausgestaltung des WissZeitVG viele weitere offene Potentiale. Zuallererst könnte der eigentliche Grund für die Befristung, die Qualifizierung, endlich definiert werden. Derzeit legen die Arbeitsgerichte diesen Begriff äußerst vage aus. 

 

Zurück zum wirkungslosen
Regelungskonzept des Eckpunktepapier

 

Ein Problem ist auch, dass die befristungsrechtliche Mindestreform des WissZeitVG nicht von Maßnahmen flankiert wird, die Länder, Hochschulen und Institute dazu veranlassen, tatsächlich vorhandene Stellen unbefristet zu besetzen. Den faktischen Mindestbefristungsquoten der akademischen Institutionen könnten Höchstbefristungsquoten gegenübergestellt werden. 

Der Entwurf wird nicht einmal den im Koalitionsvertrag formulierten Ansprüchen der Schaffung alternativer Karrierewege gerecht, obwohl eine – angemessen ausgestaltete – Anschlusszusage ermöglichen würde, auch außerakademische Mangelberufe zu entlasten. So könnte die Spezialisierung zum Lecturer mit einer generellen Befähigung zum Wechsel in den Schuldienst einhergehen. 

 

Man ist entgegen aller Ankündigungen von der grundlegend "neuen geteilten Vision" zum wirkungslosen Regelungskonzept des Eckpunktepapiers zurückgekehrt. Das Ziel "Dauerstellen für Daueraufgaben" wurde komplett verfehlt. Hochschulen und Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (AuF) werden, wenn sie es nicht aus eigenem Antrieb heraus vorantreiben, ihre Personalstrukturen nicht umbauen! 

 

Es ist klar geworden, was das BMBF unter "besserer Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere" versteht: Noch mehr als beim geltenden Status Quo werden künftig Menschen, die mit einem sozialen Startvorteil ihre Promotion und Habilitation begonnen haben, für eine Professur in Frage kommen. Marginalisierte Gruppen werden dagegen noch stärker benachteiligt. 

 

Im anstehenden parlamentarischen Prozess muss nun der Referentenentwurf zur Reform des WissZeitVG geschärft werden. "#IchBinHanna" und "#IchBinReyhan" sehen dabei die Bundestagsfraktionen der SPD und Grünen an ihrer Seite. Beide tragen den Entwurf trotz langer und intensiver Verhandlungen mit dem BMBF nicht mit. 

 

Wo "#IchBinHanna" und "#IchBinReyhan" sich mit den Wissenschaftsorganisationen einig sind

 

Die Bundesregierung und der Bundestag haben es in der Hand, die gravierende Verantwortungsdiffusion der vergangenen 20 Jahre zu durchbrechen und die Grundlage für eine Transformation der deutschen Akademie zu schaffen. Dafür benötigt es klare Vorgaben für gute und nachhaltige Arbeitsbedingungen im Mittelbau. Werden diese nicht jetzt definiert, wird sich der Fachkräftemangel in der Akademie weiter verschärfen. 

 

Das evidenzfreie Mantra "Innovation durch Fluktuation" muss begraben werden. Der positive Nebeneffekt – die bessere Position der deutschen Akademie im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe – würde sich automatisch einstellen, wenn die Bundesländer, Hochschulen und AuFs ihre Personalstrukturen in die Gegenwart führten. 

 

Zumindest in einer Sache sind sich allerdings "#IchBinHanna" und "#IchBinReyhan" mit dem kürzlich in der FAZ veröffentlichten Statement von Vertretern der AdW einig: "Wir empfehlen der Bundesregierung, den Dialog mit den Doktorand:innen und Postdocs [...] zu führen, denn nur wenn auch die künftigen, Wissenschaftler:innen [...] von der Novelle überzeugt sind, wird aus einem 'brain drain' ein 'brain gain'."


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Kommentare: 9
  • #1

    Michael Liebendörfer (Freitag, 09 Juni 2023 16:28)

    Beiträge aus verschiedenen Richtungen sind wichtig, danke den Autor:inne für ihre Sicht und Herrn Wiarda für die Plattform.

    Inhaltlich komme ich hier aber nicht immer mit. Man erkennt die tiefe Ablehnung des aktuellen Entwurfs und die Sympathie für andere Modelle. Aber das ist mir zu sehr schwarz-weiß. Man kann die Befristung als evidenzfrei hinsichtlich Innovationen beschreiben. Aber die neuen Ideen sind es auch und wirklich überzeugende Evidenz im Sinne einer randomisierten Studie wird es nicht geben.
    Ich verstehe auch nicht, warum man zukünftig nicht nach 4 Jahren berufbar sein sollte (in meinem Fach ist man das mangels Konkurrenz oft), allenfalls die nicht besprochenen Drittmittel oder das nicht besprochene Ausland könnten der Konkurrenz mehr Berufserfahrung geben. Sind die also doch so entscheidend? Der Text geht ja davon aus, dass sich ein Fachkräftemangel einstellen wird. Andererseits aber auch, dass der Durchlauferhitzer immer schneller läuft, also genug Leute dafür nachkommen werden.

    Daneben: Wie soll man gleichzeitig Lecturer an der Uni werden und sich für die Schule qualifizieren? Fünfte Klasse ist doch eine völlig andere Welt als die Uni, andere Inhalte, andere Didaktik. Und woher nimmt man das zweite Fach? Ich habe hier wie dort gelehrt und finde den Vorschlag nicht gut überlegt, zumindest sehe ich nur wenig Synergie.

    Ein anderer Punkt ist deutlich geworden: die Koalition schuldet uns eine Antwort auf die Frage, warum sie im Koalitionsvertrag von Dauerstellen für Daueraufgaben spricht, wenn sie jetzt behauptet, das läge faktisch außerhalb der Möglichkeiten einer Bundesregierung.

    Also: Lasst uns weiter diskutieren!

  • #2

    Fumarius (Freitag, 09 Juni 2023 17:49)

    Ich frage mich ja, wie "Anschlusszusage" und "Qualifizierungsvorrang" im Entwurf zusammenwirken werden: Ganz konkret gefragt: Kann ein Postdoc nach 4 Jahren WissZeitVG überhaupt auf eine Drittmittelbefristung gehen, oder greift dann hier auch der Qualifizierungsvorrang, d.h. es wäre auch drittmittelfinanziert nur eine maximal zweijährige 'Qualifizierungsbefristung' mit Anschlusszusage zulässig?

  • #3

    Michael Gerloff (Freitag, 09 Juni 2023 20:36)

    Sehr geehrter Herr Prof. Liebendörfer,
    vielen Dank für Ihren konstruktiven Kommentar.
    Die kurze und prägnante Form eines Statements bietet Vor- und Nachteile. Ein Nachteil kann das Erzeugen eines "schwarz-weiß" Eindrucks sein. Eine differenziertere Analyse wäre in der Kürze der Zeit und in der geboten Textlänge nicht möglich gewesen.
    Ich versuche dennoch in der gebotenen Kürze auf ihre Anmerkungen einzugehen.
    Innovation und Evidenz:
    Da es sich bei dem WissZeitVG um ein Sonderbefristungsrecht der akademischen Einrichtungen handelt, müssen diese nachweisen, dass die konkrete Ausgestaltung des Sonderbefristungsrecht sich auch tatsächlich auf die systemrelevante Innovation auswirkt. Kleinere Studien weisen bereits darauf hin, dass das akademische Befristungswesen nicht optimal für den Parameter "Innovation" geeignet ist. Umfangreichere Studien im Rahmen der Hochschul- und Wissenschaftsforschung wären aber selbstverständlich sehr hilfreich.
    Berufbarkeit nach 4 Jahren:
    Es mag einzelne Fächer geben, in denen die Berufbarkeit bereits nach 4 Jahren oder in Einzelfällen sogar bereits nach der Promotion erreicht werden kann. Dass die Dauer bis zur Berufbarkeit mit der quantitativen Konkurrenz korreliert. Spricht meiner Meinung nach nicht unbedingt für die Definition der Berufbarkeit und deren erhobene Parameter. Möglicherweise sollte hier über qualitative Mindeststandards nachgedacht werden. Wobei ich ausdrücklich sagen möchte, dass ich Ihre individuelle Qualifikation für die Professur nicht in Frage stelle. Festzuhalten ist aber, dass in den allermeisten Fächern eine Berufbarkeit nach 4 Jahren die absolute Ausnahme ist.
    Ausland und Drittmittel:
    Diese Punkte waren Teile des ursprünglichen Textes, wurden jedoch im Interesse der Länge und Geradlinigkeit des Statements gestrichen. Das Ausweichen auf Drittmittel muss antizipiert werden, gerade bei dem 4+ Modell der AdW und des BMBF. Warum das hierarchisch ein Problem darstellt, haben wir bereits dargelegt. Darüber hinaus kann dem Ausweichen durch flankierende Maßnahmen beigekommen werden. Die angesprochene Höchstbefristungsquote wäre so eine. Aber auch das Koppeln der Bewilligungschancen eines Drittmittelantrages an die guten und nachhaltigen Beschäftigungsbedingungen des Mittelbaus wären denkbar. Die konkrete Ausgestaltung würde den Rahmen eines Kommentars allerdings sprengen.
    Deutschland profitiert von einer akademischen Zuwanderung. Derzeit haben allerdings gerade Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft schlechte Karriereperspektiven. Der Anteil des wissenschaftlichen Personals ohne deutsche Staatsbürgerschaft an der Gesamtzahl des wissenschaftlichen Personals ist 1,8x höher als der Anteil der Professor:innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft an der Gesamtzahl der Professor:innen. Ein 2+4 Modell könnte Wissenschaftler:innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft eine verlässliche Karriereperspektive in Deutschland geben und strukturelle Diskriminierung zumindest teilweise entschärfen. In unseren Augen würde die deutsche Akademie im internationalen Wettbewerb so einen entscheidenden Vorteil für promovierte Menschen bieten. Die konkrete Ausgestaltung muss aber natürlich im Blick behalten, dass promovierte Menschen im Ausland möglicherweise länger Berufserfahrung sammeln konnten und so einen strukturellen Vorteil gegenüber promovierten Menschen aus der deutschen Akademie hätten. Hier bedarf es viel Fingerspitzengefühl bei der Definition von Anforderungen an eine Stelle mit Anschlusszusage und bei der stattfindenden Selektion.
    Fachkräftemangel:
    Wie und ob sich ein Fachkräftemangel einstellt oder bereits eingestellt hat, hängt im starken Maße vom Fach und der jeweiligen Einrichtung ab. Kleine Hochschulen mit wenig Zugang zu finanziellen Mitteln werden dies eher spüren als größere Hochschulen oder sogar AuFs. Berufsbildende Fächer wie Pädagogik, Ingenieurswissenschaften oder Jura berichten scho lange, dass sie Schwierigkeiten haben top qualifiziertes Personal zur Promotion und danach zum Bleiben in der Akademie zu bewegen.
    In anderen Fächern wird der Austausch des wissenschaftlichen Personals auch noch einige Jahre ungebremst weiterlaufen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Anzahl der Bewerber:innen auf die einzelnen Stellen reduzieren wird. Eine damit einhergehende Abnahme der Qualität der Bewerbungen könnte dabei erfolgen. In jedem Fall wird auch weiterhin der ungebremste Personalaustausch im Mittelbau die fehlende Diversität zementieren.
    1/2

  • #4

    Michael Gerloff (Freitag, 09 Juni 2023 20:37)

    2/2
    an Michael Liebendörfer
    Lecturer und Schuldienst:
    Dieser Teil ist mir ein persönliches Anliegen. In der +4 Phase des 2+4 Modells gäbe es genügend Zeit und Möglichkeiten eine didaktische Grundausbildung zu erhalten. Diese würde sich zuerst natürlich auf die Zielgruppe der Studierenden beziehen. So dass von einem konkreten Qualitätsgewinn in der akademischen Lehre auszugehen wäre. Grundlagen der Didaktik für die Sekundarstufe II könnten aber auch bereits gelegt werden. Damit wäre ein Einsatz in Gymnasien und Schulen mit Abiturstufe denkbar. Das zweite Fach würde allerdings nicht mitgebracht werden, da haben Sie vollkommen recht. Ob dieses aber wirklich nötig ist, ist, meines Wissens nach, bereits Gegenstand einer Debatte. Selbstverständlich bräuchte ein solches Modell aber eine fachkundige und kluge Ausgestaltung durch Pädagog:innen und wäre Neuland.
    Dauerstellen für Daueraufgaben:
    Der Bund kann dieses Anliegen (und das der alternativen Karrierewege) nur indirekt über das WissZeitVG steuern, das ist uns bewusst. Allerdings kann und darf er seine Macht nicht unterschätzen. Die ambitionierte Definition von Mindeststandards der Beschäftigungsbedingung (Befristung an konkrete Bedingungen knüpfen) wird dazu führen, dass sich die Bundesländer und akademischen Institutionen dazu verhalten müssen. Einen ähnlichen Effekt konnten wir bei der Einführung des Mindestlohns und der Einschränkung der Leiharbeit beobachten. Im Vorfeld gab es starke Bedenken und Warnungen von den Arbeitgeberverbänden, die sich jedoch als haltlos erwiesen. Obwohl von den akademischen Arbeitgeberverbänden (bspw. der AdW & DHV) immer wieder auf die Besonderheit des akademischen Systems gepocht wird, ist davon auszugehen, dass sich dieses nicht zu 100% von allen anderen Arbeitsmarktsystemen unterscheidet. Transformation (und Disruption) erfordert Mut und kann für einige Gruppen, die traditionell über Privilegien verfügen durchaus schmerzhaft sein. Das 2+4 Modell ist ein Paradigmenwechsel der deutschen Akademie, das ist uns bewusst und durchaus beabsichtigt. Wir haben aber Vertrauen in die vielen Menschen des nationalen und internationalen akademischen Systems, dass diese einen solchen Paradigmenwechsel konstruktiv und positiv ausgestalten werden. Für diesen Paradigmenwechsel kann der Bund mit einer mutigen Reform auch gegen die Bedenken der AdW sorgen.
    SPD und Grüne haben mit ihrem Verzicht auf die Unterstützung des (AdW-)Referentenentwurfes aus dem FDP-geführtem BMBF deutlich gemacht, dass sie sich dem Prinzip Dauerstellen für Daueraufgaben und der Förderung alternativer Karrierewege verpflichtet fühlen. Wir hoffen auch, dass sich Frau Stark-Watzinger und die FDP Bundestagsfraktion daran erinnern, was sie im Koalitionsvertrag genau vereinbart haben.
    #IchBinReyhan / #IchBinHanna werden sie auch weiterhin daran erinnern.

    Die Länge des Kommentars entspricht der Länge des Statements.

  • #5

    Michael Gerloff (Freitag, 09 Juni 2023 20:52)

    Sehr geehrte:r Fumarius,
    vielen Dank für Ihr Kommentar.
    Der Qualifizierungsvorrang im Referentenentwurf ist folgendermaßen zu verstehen:
    Während der Promotion und nach der Promotion ist grundsätzlich weiterhin die Befristung auf Drittmittelprojekten möglich. Allerdings kann nicht mehr ohne weiteres der Befristungsgrund "Drittmittel" genutzt werden. Stattdessen muss der Befristungsgrund "Qualifizierung" verwendet werden. Dies ist vor allem ein technisches Vorgehen, um den befristet beschäftigten Kolleg:innen Zugang zur sozialpolitischen Komponente des WissZeitVGs zu geben. Hierunter fallen zum Beispiel günstige Regelung für den Fall, dass minderjährige Kinder betreut werden.
    Im konkreten Fall wäre die Höchstdauer der anschlusszusagenfreien Befristung erreicht. Eine weitere Befristung kann nur mit Anschlusszusage oder Drittmittelbefristung erfolgen. Die Drittmittelbefristung bedarf dabei keiner Anschlusszusage. Es ist daher zu befürchten, dass in der Realität Verträge mit Anschlusszusage die absolute Ausnahme bleiben werden.
    Das 2+4 Modell nach Simon Pschorr wäre dafür zwar auch im gewissen Maße anfällig, aber längst nicht so sehr wie das 4+2 Modell des (AdW)-Referentenentwurfs.
    Prinzipiell lässt sich aber sagen, dass auch weiterhin ohne eine dezidierte Drittmittelhöchstbefristungsdauer auf Drittmittelstellen befristet werden darf. Würde eine solche Drittmittelhöchstbefristungsdauer eingeführt werden, müssten ggf. verfassungsrechtliche Bedenken geprüft werden. Immerhin könnte es sich bei einer solchen Regelung um die Einführung eines Berufsverbots handeln.
    Viel erfolgversprechender für die Vermeidung des Ausweichens auf die Drittmittelbefristung wäre, unserer Meinung nach, die Einführung einer Höchstbefristungsquote und das Koppeln guter Arbeitsbedingungen an die Erfolgschance für Drittmittelbewerbungen.

  • #6

    Fumarius (Freitag, 09 Juni 2023 22:03)

    @Michael Gerloff: Vielen Dank für die Ausführungen - da ich den Referentenentwurf noch nicht im Wortlaut kenne, war die Frage tatsächlich technisch auf die formaljuristische Umsetzung gerichtet. Wenn ich Sie recht verstehe, wird/ist der Qualifizierungsvorrang also so geregelt, dass die 2 Jahre Anschlussfinanzierung explizit von ihm ausgenommen sind? Oder anders gefragt: Die 2 Jahre mit Anschlusszusage sind gemäß Entwurf demnach keine (oder eine andere?) ' Qualifizierung' als jene in den 6+4 Jahren davor? Ich frage mich das auch vor dem Hintergrund, dass das MBMF selbst in FAQs erläutert, künftig sei hier auch Flexibilität möglich, also zB 3+3-Verträge, wobei der 2. dann mit Anschlusszusage versehen sein müsse.

  • #7

    Mittelwert (Freitag, 09 Juni 2023 22:52)

    Bislang finde ich einige Fragen unterbeleuchtet, die auch hier in den Details der Dauer verschiedener Phasen etwas unterzugehen zu scheinen.

    Befürchtet wird, jedenfalls bei einer bloßen Verkürzung des Befristungsrahmens ohne zusätzliche Maßnahmen, eine Beschleunigung der Fluktuation. Da sich die verfügbaren Mittel nicht vervielfachen werden, ist eine dauerhafte bzw. langfristige Beschäftigung für einige aber zwangsläufig für andere mit einer kürzeren oder gar keiner Beschäftigung in der akademischen Wissenschaft verbunden. Die jüngst in einem Gastbeitrag beworbene Reduzierung der Anzahl von Promotionen – in Modellen zur kostenneutralen Änderung der Beschäftigungsstruktur konnte man etwa von einer Halbierung der Zahl von Doktorandenstellen lesen – ist jedenfalls für solche Fachrichtungen ungeeignet, deren Promotionen als Qualifikation in einem breiteren Arbeitsmarkt geschätzt werden. (Die Promotion mag die letzte formale Qualifikation nach außen sein, das schließt aber nicht aus, dass auch wissenschaftliche Erfahrungen und Kenntnisse darüber hinaus jenseits der Akademie nützlich und gefragt sind. Anstelle oder neben der Anzahl könnte man übrigens auch die Dauer von Promotionen in den Blick nehmen, die bei durchschnittlich knapp 6 Jahren einen wesentlichen Teil der Gesamtlänge befristeter Beschäftigungen darstellt. Zudem hat, wer beispielsweise schon in vier Jahren fertig wird, meines Wissens nach der bisherigen wie auch der vom BMBF vorgeschlagenen Regelung zwei Jahre länger Postdoc-Zeit ...)

    Da andererseits in diesem Artikel angemerkt wird, dass neben einer langen Unsicherheit auch ein früheres Aussieben (bisher im Hinblick auf Professuren) marginalisierte Gruppen benachteiligt, sollten die Stellen mit Anschlusszusage wohl zumindest eher leicht zugänglich sein. Dann müssten aber die Entfristungsbedingungen und ihre Evaluation (nach vier Jahren?) entsprechend strenger sein – ist das wirklich durchsetzbar?
    Der Anteil der Fälle, in dem die Anschlusszusage tatsächlich in Anspruch genommen wird, ist natürlich auch deswegen relevant, da es sich um einen zentralen Einflussfaktor handelt für die durchschnittliche Verweildauer auf einer solchen Stelle und damit auch die Stellenzahl, die jedes Jahr neu vergeben werden kann.

    Schließlich möchte ich anmerken, das das Motto "Dauerstellen für Daueraufgaben" zur konkreten Anwendung doch etwas präzisiert werden müsste. Grundsätzlich sind Forschung und Lehre dauerhafte Aufgaben einer Hochschule, aber sie werden nicht nur von erfahrenen promovierten Wissenschaftlern geleistet. (Über die Wertigkeiten verschiedener Lehraufgaben wurde im Kommentarbereich zum vorletzten Artikel schon diskutiert. Jedenfalls können etwa im Bereich Naturwissenschaften die zahlreichen Übungsgruppen sowie Praktika im Grundstudium auch von studentischen Hilfskräften betreut werden, erst recht von Doktoranden – die Lehrerfahrung trägt neben der Forschungstätigkeit durchaus zur Qualifizierung bei der Promotion bei. Studenten bei Master- und teils schon Bachelorarbeiten sind ebenfalls forschend tätig, wenn auch typischerweise unter genauerer Anleitung.)

  • #8

    Hanna (Montag, 12 Juni 2023 19:23)

    Die vorgestellten Modelle 2+4 / 4+2 sind meiner Meinung nach Spitzfindigkeiten, die die grundlegende Fehlsteuerung des WissZVG nicht lösen: Es sollten immer die besten, Kompetentesten Bewerber:innen für eine Stelle gefunden und eingestellt werden. Das WissZVG "nudged" die Universitäten hingegen, haushälterische Flexibilität und befristungsvertragliche Kontrolle/Macht über das Bestenprinzip zu stellen. Wenn in einer Ausschreibung Personen gesucht werden, die explizit noch nicht die max. WissZVG-Zeit aufgebraucht haben, wird ein großer Pool an erfahrenerem, ggf. kompetenterem Personal von der Bewerbung exkludiert. - Sofern das WissZVG also nicht belegbar für mehr Innovation sorgt, sondern im Gegenteil verhindert, dass die beste Person den Job bekommt, ist die Sonderbefristung grundsätzlich unsinnig und muss abgeschafft werden. Dieses Gesetz schwächt die deutsche Wissenschaft!

  • #9

    Rami (Sonntag, 25 Juni 2023 11:54)

    ​Das 4+2-Modell ist einfach ein schlechter Vorschlag. Diesmal haben wir alle auf eine echte Reform gewartet, wurden aber leider am 17. März schockiert, gefolgt von einer Ohrfeige am 6. Juni, als der Referentenentwurf vorgeschlagen wurde.

    Während behauptet wurde, dass diese neue Novellierung den Nachwuchswissenschaftlern mehr Zuverlässigkeit, Vorhersehbarkeit und Transparenz bieten soll, ist die Wahrheit, dass dieser neue Vorschlag genau das Gegenteil bewirkt. Der neue Vorschlag wird, wenn er in Kraft treten muss, motivierte Wissenschaftler nach 4 Jahren einfach aus dem deutschen System werfen, weil wir alle wissen, dass Universitäten und Forschungseinrichtungen ihnen NIEMALS einen unbefristeten Vertrag anbieten werden.

    Was ist nun der Zweck dieser +2? Warum nicht einfach 4, denn diese 2 Jahre sind nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber anschließend verspricht, eine Festanstellung anzubieten, was höchstwahrscheinlich nicht der Fall sein wird.

    Der neue Vorschlag wird Angst und Zweifel verbreiten. Der neue Vorschlag wird den Menschen Arbeitsplätze wegnehmen. Der neue Vorschlag wird talentierte Personen aus der Wissenschaft verdrängen. Der neue Vorschlag wird zu einer großen Exodus von Wissenschaftlern führen.

    Diejenigen, die am meisten unter diesem Vorschlag leiden werden, sind Einwanderer und Personen aus weniger vorteilhaften Verhältnissen und ethnischen Minderheiten.

    Es ist sehr traurig, eine so aussichtslose Situation in einem Land zu sehen, das ein attraktives Reiseziel für kluge Köpfe aus aller Welt sein soll. Leider wird der neue Vorschlag die Wettbewerbsfähigkeit von D verschlechtern und Wissenschaftler dazu ermutigen, sich nach aussichtsreicheren akademischen Positionen im Ausland umzusehen, vor allem in englischsprachigen Ländern, wo das akademische System viel, viel besser ist.

    Warum nicht einfach ein Tenure-Track-System in MASSIVEM Umfang einführen, wie es in Großbritannien, Irland oder den USA der Fall ist? Wenn ich mir einige Fakultäten im Vereinigten Königreich ansehe, an denen ich mich kürzlich um eine Stelle beworben habe, ist es eine große Freude, die flache Hierarchie zu sehen. Ungefähr 15 Professoren, 10 Readers, 20 Lecturers,.... Alle diese Personen haben Festanstellungen, sodass sie mit einer großartigen Perspektive an die Gründung einer Familie und die Erziehung ihrer Kinder denken können.

    Mit dem neuen Vorschlag wird die Postdoc-Phase in D ein schlechtes Geschäft für junge, kluge und dynamische Menschen sein, die anderswo viel bessere Bedingungen und Karriereaussichten bekommen können. Die Arbeitsverträge sind kurzfristig und ohne langfristige Sichtbarkeit. Das macht es schwierig, eine Familie zu ernähren oder ein Haus zu kaufen, ein echtes Erwachsenenleben zu führen und kein „ewiges Studentenleben“, zumindest wenn man nicht schon vorher reich war oder aus privilegierten Verhältnissen stammt.

    Wir werden sehen, dass Universitäten NIE mehr in der Lage sein werden, kompetente und motivierte Postdoktoranden zu rekrutieren. #IchBinHanna