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Der ewige Patriarch

Kein anderer Universitäts-Präsident ist länger im Amt als er, keiner hat so viel Gestaltungsfreiheit wie Wolfgang Herrmann, der Präsident der Technischen Universität München. Ein Porträt.

Fotos: Kay Herschelmann

DIE SITZUNG MIT den Stiftungsleuten hat kaum angefangen, da fällt Wolfgang Herrmann etwas ein. Neulich, berichtet er, habe er wieder seine Privatsprechstunde gehabt. So nennt Herrmann das, wenn ein Spender zu ihm kommt und ihm von seinen Sorgen und körperlichen Wehwehchen erzählt. Einer von denen, die der Technischen Universität München (TUM) fünfstellige Beträge spenden, manchmal auch sechsstellige; einer von denen, die Herrmann anruft, wenn er eine seiner Ideen hat und das Geld dazu braucht. Wenn Herrmann seine Privatsprechstunde hatte, weiß er, jetzt ist Zeit zum Zurückgeben. Also holt Herrmann mitten in der Sitzung am nächsten Morgen sein Handy aus der Tasche und ruft einen befreundeten Chefarzt an, um bei dem einen Termin für einen der Spender zu organisieren. „Es wäre schön, wenn du deine Leute mal bei dem Mann anrufen lässt“, bittet er, sagt „Dank dir“, legt auf. Und hält einen Moment inne. Lässt die Szene wirken. Denn Wolfgang Herrmann, seit 22 Jahren TUM-Präsident, weiß dass er beobachtet wird. Nicht, weil das etwas Besonderes ist. Sondern weil es immer so ist.

 

Herrmann ist eine Ausnahme-Erscheinung unter den deutschen Hochschulrektoren und -präsidenten. Weil er der dienstälteste unter ihnen ist. Weil der Experte für Katalyseprozesse selbst ein hochdekorierter Forscher war, ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis, und bis heute zu den meistzitierten deutschen Chemikern zählt. Weil alle, die ihn kennen, sagen, er sei ein Überflieger, der dreimal so schnell denke wie die anderen im Raum. 

 

Seit seinem Amtsantritt 1995 hat er die TUM in einer Weise umgekrempelt, dass sie und ihr Präsident sprichwörtlich geworden sind für die grundlegende Transformation, die die Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten von den Universitäten forderte –  und die doch die wenigsten geliefert haben. Heute ist die TUM, die seit ihrem Bestehen im Schatten der benachbarten Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) stand, wie diese Exzellenzuniversität, hat einen strahlend-neuen Campus draußen vor der Stadt – Investitionssumme für die TUM allen 820 Millionen Euro –, eine Niederlassung in Singapur, und bald wird sie, wenn es nach Herrmann geht, alle ihre Masterstudiengänge nur noch auf Englisch anbieten. >>



>> Herrmann habe schon Ende der 1990er Jahre als erster Rektor eine Experimentierklausel im damaligen bayerischen Hochschulgesetz gezogen, sagt der ehemalige Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Josef Lange. „Dadurch hatte die TUM mit ihrem Präsidenten früh eine Gestaltungsfreiheit, um die andere sie bis heute beneiden. Und schauen Sie, wie gut die TUM dasteht.“ Kein zweiter Hochschulrektor hat so viel verändert. Kein zweiter Rektor hat so viel verändern können, weil er stets das Netzwerk hatte, das ihn stützte und beschützte. Jetzt ist Herrmann 69, seine fünfte Amtszeit endet 2019. Und dann? 

 

Und dann, sagt er, „könnte ich mir gut vorstellen, hier einzuziehen.“ Als er das sagt an jenem Herbstmorgen, steht er vor einem Jugendstilbau in München-Maxvorstadt: frisch herausgeputzte Fassade, hohe Decken. Im holzvertäfelten Sitzungssaal stehen noch Umzugskisten. Hier, hat Herrmann verfügt, soll die TUM-Universitätsstiftung ihren neuen Sitz haben. Weil er das für standesgemäß hält für den 34 Millionen Euro schweren Förderverein, der natürlich auf seine Initiative entstand und dessen Stiftungsratsvorsitzender ebenso selbstverständlich er selber ist. 

 

Hier nimmt Herrmann um kurz nach zehn Platz am Kopfende eines Konferenztisches, erzählt von seiner Privatsprechstunde und ruft den Chefarzt an. „Man muss auch Danke sagen können“, sagt er danach zufrieden und hält seinen ersten Vortrag des Tages. Darüber, dass er von den Rundbriefen, die die Stiftungsleute gerade herausgeschickt haben, um Spenden zu akquirieren, nichts hält. Dafür umso mehr von der persönlichen Ansprache. „Wenn der Präsident dich anruft, wächst du gleich einen halben Meter“, sagt er. Die Leute wollen spüren, dass sie dazu gehören, sagt er. Das sei das Geheimnis. 

 

Die drei Stiftungsleute, darunter ein ehemaliger Vizepräsident der TU München, nicken. Sagen nichts. Sie sagen überhaupt wenig, die meisten der Leute, mit denen Herrmann den ganzen Tag redet. Vielleicht weil, wenn er fertig ist, nicht mehr viel Zeit bleibt. 

 

Über einen wie ihn, könnte man denken, Typ traditioneller Patriarch, ausgestattet mit der Macht einer Experimentierklausel und dem Hang zur Selbstgefälligkeit, müssten sie doch hinter seinem Rücken umso mehr reden, lästern müssten sie, sich beklagen über ihre vermeintliche Machtlosigkeit. Von wegen. Die ehemalige Studierendenvertreterin im Senat sagt, sie habe selten jemanden getroffen, der zwei Generationen älter ist als sie und mit dem die Studierenden doch so auf Augenhöhe reden könnten. Als Herrmann seinen Plan mit den englischsprachigen Masterstudiengängen ankündigte, erntete er heftige Kritik der Studierenden – was ihn nicht davon abhielt, im nächsten Moment und über das nächste Thema wieder konstruktiv mit ihnen zu diskutieren.  >> 


Wolfgang Anton Herrmann,

 

geboren 1948 in Kelheim, ist seit 1995 Präsident der Technischen Universität München (TUM),  wo er Chemie studiert hatte. Promoviert und habilitiert wurde er an der Universität Regensburg. Dort hatte er eine Professor inne, danach in Frankfurt am Main und schließlich an der TU München.

1986 erhielt der Experte für Katalyseprozesse den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Herrmann ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und Akademien, unter anderem der Leopoldina; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. An der TUM wurde Herrmann 2013 zum vierten Mal in seinem Amt bestätigt.



>> Wahr ist allerdings auch, dass einige seiner Vizepräsidenten nach ihrer ersten Amtszeit nicht in die Verlängerung gingen. Dass jeder in seinem Umfeld schon mal erlebt hat, wie Herrmann einen Mitarbeiter in den Senkel gestellt hat, auf gut bayerisch gesagt, zum Fremdschämen sei das jedes Mal. Viele dieser Mitarbeiter konnte man freilich am nächsten Tag dabei beobachten, wie sie mit strahlenden Augen von ihrem Chef schwärmten. 

 

Wenn man Herrmann durch seinen Arbeitstag begleitet, wie er von einem Termin in den anderen wechselt, vom Berufungsgespräch mit einer jungen Professorin über die Verabschiedung seiner Büroleiterin bis hin zur Präsidiumssitzung am Nachmittag, wer den TUM-Präsidenten beobachtet zwischen bayerisch-charmanten Gesten und hochschulpolitischer Grundsatzreden, der weiß nie so genau: Ist das gerade Inszenierung von Führung, oder liegt die Führung gerade in der Inszenierung? Was man spürt: Das ist einer, dessen Ehrgeiz nach 22 Jahren an der Spitze nicht geringer geworden ist. Der mehr denn je weiß, wie man den Leuten gibt, was sie brauchen. Weil es ihnen hilft und am Ende auch ihm. 

 

Und so verspricht er der schwangeren Neuberufenen, dass man ihren Vertrag noch vor der Elternzeit anlaufen lasse, „ist doch selbstverständlich, da gibt es kein Vertun.“ Und dem Forscher, der sich reinhängt in Sachen internationalem Austausch, bewilligt er aus dem Stand heraus eine Deputatsreduzierung. Was der bei aller Jovialität doch lieber schriftlich haben möchte.

 

Herrmanns Büro misst über 100 Quadratmeter, hat Parkettfußboden, einschüchternd hohe Flügeltüren, Samtvorhänge und einen runden Besprechungstisch, an den ein ganzes Kabinett passen würde. Was insofern angemessen ist, weil sein Büro größer ist als das der meisten Wissenschaftsminister und mehr Grandezza besitzt dank des Flügels, auf dem der Chef zwischendurch Klavierkonzerte einübt. Obenauf liegt die „Festmusik für die TU München“, komponiert von Franz Hummel. Einen Computer sucht man in seinem Büro dagegen vergebens. 

 

Seine Kontakte in die Politik hinein sind legendär; ihnen, heißt es, sei es zu verdanken, wie gut die TUM heute finanziell ausgestattet sei. 2001 wollte Herrmann selbst mal Gesundheitsminister werden, sein Nachfolger wurde bereits per Inserat gesucht, da wurde ihm vorgeworfen, dass er dem Finanzamt jahrelang Nebeneinkünfte für Vorträge und wissenschaftliche Gutachten verschwiegen hätte, insgesamt rund 180.000 Mark. Eine „unabsichtliche Unkorrektheit“, sagte er damals und musste später eine Geldstrafe zahlen. An der TUM wurde Herrmann trotzdem wiedergewählt. Heute trägt die Episode bei zu seinem Nimbus als unangefochtener Herrscher der bayerischen Wissenschaftsszene. Unangefochten auch davon, wer gerade Wissenschaftsminister im Freistaat ist. Von denen hat er vier erlebt bislang.

 

Was wird aus der TUM, wenn er mal nicht mehr da ist, fragen viele, und selbst seine Kritiker prophezeien, dass die Uni dann erstmal in ein Loch fallen wird. „Dann wird es eine grundsätzliche Neuorientierung geben müssen“, sagt ein früherer Vizepräsident. „Personell und inhaltlich.“ Viele von denen, die jetzt Herrmanns Vertraute sind, dürften bei der Neuorientierung auf der Strecke bleiben, die entscheidende Frage lautet: Wer kann die Erfolgsgeschichte der TUM so überzeugend, so blendend weitererzählen wie Herrmann? Wer hält die Kontakte in die Politik, wer pflegt das Netzwerk, das die TUM hält und, wenn nötig, abfedert?

 

Andere Fragen beschäftigen sich eher mit Herrmann persönlich. Warum ist so einer nicht längst außerhalb Münchens etwas geworden, warum wird der zum Beispiel nicht Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und mischt den Laden mal gehörig auf? Die Antwort ist einfach. Die Art, wie er sich an der TUM als ewiger und allmächtiger Präsident inszeniert, führt anderswo zu Ehrfurcht. Und zu Misstrauen: Was würde der wohl dann mit uns anstellen, fragen sich viele.  

 

Herrmann genießt es sichtlich, wenn andere sich Gedanken um seine Zukunft machen. Bei der Frage, was nach 2019 kommt, sitzt er gerade bei im „Il Mulino“ ein paar Straßen von der TUM entfernt, gönnt sich einen Mittagswein und baut eine dramaturgische Pause ein. Den Laden würde er gern kaufen für die Uni, sagt er, das wäre eine Goldgrube, doch der Besitzer will nicht. Herrmann spürt die Ungeduld bei seinem Gesprächspartner, wartet noch kurz, dann sagt er: „Ich glaube, dass wir in Nürnberg etwas ganz Neues schaffen können.“ 

 

Die bayerische Staatsregierung will von 2020 an in der fränkischen Metropole eine komplett neue Uni aufbauen, vom Reißbrett, Herrmann leitet die Strukturkommission. Aus Nürnberg erwarte er sich die nächste Innovation in Sachen Hochschul-Governance, sagt Hochschulexperte Josef Lange. Herrmann selbst sagt, ihm schwebe eine besondere Fächerorganisation vor, vor allem aber herausragende Betreuungsrelationen. Für die er angesichts des geltenden Kapazitätsrechts wieder eine Sonderregelung bräuchte. 

 

Ob der dann über 70-Jährige auch noch Gründungspräsident werden möchte? „Ich leiste mir mit zunehmenden Alter den Luxus, nicht schon alles vorausplanen zu müssen“, sagt er und lächelt genüsslich. In einem anderen Interview sagte er neulich: „Vielleicht werde ich wieder schwach. Aber geplant ist ein neues Pontifikat nicht.“

 

Dieser Artikel erschien zuerst im DSW-Journal 4/2017 des Deutschen Studentenwerks. 


Die TUM und die Dieter-Schwarz-Stiftung

 

Am 06. Juni 2017 meldete ich hier im Blog erstmals, dass die TU München nach Baden-Württemberg expandiert – und 20 Stiftungsprofessuren der Dieter-Schwarz-Stiftung erhalten soll. In den vergangenen Wochen gab es dazu noch einmal ausführliche Debatten. Zum Beitrag von damals geht es hier. 

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