Das BMFTR hat sein Organigramm – und seine Grenzen
Dorothee Bär hat ihre Ministeriumsstruktur fertig. Strategisch wirkt das Ergebnis stimmig – umso offensichtlicher sind die Leerstellen.
Angestammtes Gebäude, (in Teilen) neuer Inhalt: der Berliner Dienstsitz des BMFTR. Foto: Foto: Ansgar Koreng / CC BY 3.0 (DE).
157 TAGE NACH IHRER VEREIDIGUNG will Dorothee Bär am Freitagmorgen die Organisationsstruktur für ihr neu zusammengesetztes Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) vorstellen – zunächst in einer internen Personalversammlung. Seit Donnerstagnachmittag war das sogenannte Organigramm aber bereits im Regierungsintranet abrufbar.
Damit ist das monatelange Gezerre vor allem zwischen Bär (CSU) und ihrer Wirtschaftsministerkollegin Katherina Reiche (CDU) um die Verteilung von Referaten und Förderprogrammen auch offiziell beendet – mit einem Ergebnis, das keinen mehr überrascht: Anders als von vielen Experten gefordert, anders als es der schwarz-rote Koalitionsvertrag implizierte und anders als Bär selbst es beabsichtigt hatte, werden die Zuständigkeiten für Innovations- und Technologiepolitik nicht unter einem Dach vereint, ein bedeutender Teil vor allem der Innovationspolitik verbleibt im Ministerium von Katherina Reiche. An ihr, so scheint es, hat Bär sich die Zähne ausgebissen.
Die Wirtschaftsministerin, jüngst in einem Spiegel-Artikel als "schroff, abweisend, beratungsresistent" charakterisiert, war denn auch bereits vergangene Woche einseitig vorgeprescht und hatte das BMWE-Organigramm online stellen lassen. Die CDU-Politikerin scheine vor allem ein Talent zu haben, schrieb der Spiegel: "Menschen gegen sich aufzubringen".
Womöglich sieht sie sich gerade im Machtkampf mit ihrer Wissenschafts-Kollegin als Siegerin. Tatsächlicher Gewinner aber ist das Silodenken, Verlierer ist das wissenschaftsnahe Innovationssystem, das vom Ende einer Zerklüftung profitiert hätte.
Programme, die außen vor bleiben
Was genau zeigt denn nun der Blick ins BMFTR-Organigramm?
Zunächst einmal zeigt er, was nicht drinsteht. Nicht mehr: die Bildungsabteilung, die der Logik des Koalitionsvertrages folgend in das ebenfalls neu zusammengesetzte Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) von Karin Prien (CDU) wandert. Aber ebenfalls nicht drin: Finanzstarke Programme wie die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF), das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) und das Förderprogramm Innovationskompetenz "INNO-KOM", sie alle sollen laut Koalitionsvertrag mit verschiedenen BMFTR-Förderinitiativen unter einer "Dachmarke" namens "Initiative Forschung & Anwendung" zusammengeführt werden, doch keines davon wechselt vom BMWE ins BMFTR.
Und das große Förderprogramm "EXIST" für Existenzgründungen und Startups aus der Wissenschaft? Ende September sagte Bär im Bundestagsausschuss, über dessen Verortung werde noch verhandelt – im jetzt fertiggestellten BMFTR-Organigramm kommt es nicht vor.
Darüber hinaus ist durchaus vieles in Bewegung gekommen: vor allem die Verantwortlichkeiten für die Raumfahrtpolitik und -förderung, für Games, für Grundsatzfragen der Innovations- und Technologiepolitik, wie es der Organisationserlass des Bundeskanzlers bereits am 7. Mai vorgab. Nur dass der Wechsel des innovationspolitischen Grundsatzfragen-Referats aus dem BMWE bei gleichzeitigem Verbleib der wichtigsten Förderprogramme die ganze Widersprüchlichkeit auf den Punkt bringt – weshalb viele lange gehofft hatten, Bär könnte in den Verhandlungen mit Reiche noch mehr erreichen. Die Forschungsministerin selbst hatte im Sommer gesagt, dass man "fragwürdige Konstruktionen" der Vergangenheit irgendwann "wieder aufdröseln" müsse.
Auf Anfrage wollte sich Bärs Ministerium am Donnerstagnachmittag zunächst nicht offiziell zum Organigramm äußern und verwies auf Bärs Plan, die Struktur zunächst der BMFTR-Belegschaft zu erläutern. Ihr Staatssekretär Matthias Hauer hatte bei der Forschungsausschuss-Sitzung Ende September angekündigt, dass es zur Abstimmung zwischen BMWE und BMFTR ein "strukturierte Koordinierungsverfahren" geben werde, eine "gemeinsame Arbeitsgruppe".
Abteilungen mit Profil – und politischer Botschaft
Abgesehen von besagten Leerstellen präsentiert sich der neue Organisationsplan insgesamt stimmig – und deutlich auf Bärs zentrales Projekt, die Hightech-Agenda, zugeschnitten.
Direkt der Ministerin zugeordnet ist der Leitungsstab unter Marisa Schwarz. Er bündelt politische Planung, Kabinettskoordination und Kommunikationssteuerung – von L 11 (Büro der Ministerin) über L 12 (Politische Planung)bis zu L 24 (Reden und Texte).
Auch die klassische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit liegt hier, ebenso die digitale Kommunikation und das Protokoll. Der Leitungsstab ist das Scharnier zwischen inhaltlicher Strategie und öffentlicher Darstellung – und damit entscheidend für Bärs Versuch, ihr neues Ressort als sichtbaren Player in der Bundesregierung zu positionieren.
Statt Zahlen wie im BMBF haben die Abteilungen im BMFTR jetzt Buchstaben. Die Zentralabteilung Z, seit Mai geführt von Maria Wienker, ist das organisatorische Rückgrat des Hauses: Personal, Haushalt, IT, Justiziariat, Controlling – kurz: alles, was den Ministeriumsapparat am Laufen hält. Die Referate reichen von Z 11 (Personalentwicklung) über Z 25 (Controlling) bis zu Z 27 (Digitale Transformation und Datenlösungen). Auffällig ist, wie stark der Bereich Digitalisierung auch innerhalb der Verwaltung selbst verankert wird – hier scheint die frühere Digitalstaatsministerin Dorothee Bär voranzugehen.
Abteilung S, geleitet von Effrosyni Chelioti, verantwortet die strategischen und innovationspolitischen Grundsatzfragen – das ideelle Zentrum des neuen Ministeriums. Die Ministerin hat Chelioti von der Helmholtz-Gemeinschaft geholt, wo sie zuletzt als Interims-Geschäftsführerin fungierte. In ihrer Abteilung finden sich das Referat S 11 (Innovationsgrundsatzfragen) ebenso wie S 13 (Games), das die Förderpolitik für interaktive Medien bündelt. Dazu kommen das InnoLab (S 14), die Wissenschaftskommunikation (S 24) und das Referat S 23 (Chancengerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung). Eine bunte Mischung aus Vorausschau, Transfer und Kreativwirtschaft – Ausdruck des Versuchs, die Innovationskultur breiter zu fassen, als es rein technologiepolitisch möglich wäre.
Die Abteilung I – Internationales und Europa – wird geleitet von Matthias Oel, der von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission gekommen ist, wo er Direktor für Sicherheit und gesellschaftliche Resilienz einschließlich Weltraumforschung war. Seine Abteilung verantwortet die europäische und internationale Forschungspolitik, koordiniert die EU-Programme (I 23), pflegt die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (I 11 bis I 14) und betreut die forschungspolitische Agenda der EU (I 22). Ziel sei, heißt es aus BMFTR-Kreisen, die Hightech-Agenda europäisch einzubetten und Deutschland als global vernetzten Innovationsstandort zu stärken – ein Unterfangen, das in Zeiten geopolitischer Spannungen strategisch wichtiger wird.
Mit der Abteilung R – Raumfahrt und Sicherheit – rückt ein Bereich ins Zentrum, den frühere Ministerien nur am Rande behandelten. Noch ohne besetzte Leitung (N. N.), umfasst sie die Raumfahrtpolitik (R 1) mit Zuständigkeit für ESA und EU-Programme, das Forschungsschwergewicht DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), die Sicherheitsforschung (R 23) und die Weltraumsicherheit (R 22). Hinzu kommen neuartige Technologien wie die im Koalitionsvertrag angekündigte Hyperloop-Entwicklung, Advanced Air Mobility (R 26) oder die Verbindung von Raumfahrt und sicherheitspolitischer Resilienz. Damit entsteht erstmals eine integrierte Struktur, die zivile, militärische und wirtschaftliche Dimensionen der Raumfahrtpolitik zusammendenkt – zugleich aber erhebliche Abstimmungsbedarfe mit anderen Ressorts birgt.
Beispiel Weltraumsicherheit: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte neulich angekündigt, dass die Bundesregierung hier bis 2030 insgesamt 35 Milliarden Euro investieren will. Kein Wunder, dass auch Wirtschaftsministerin Reiche laut BMWE-Organigramm ein Referat für "Luftfahrt und wirtschaftspolitische Fragen der Raumfahrt" eingerichtet hat – hier werden gerade die Claims abgesteckt.
Die Abteilung W, unter ihrem alten und neuen Leiter Jochen Zachgo, steht für die klassische Wissenschaftspolitik – Hochschulen, Forschungsorganisationen, Fachkräfte. Hier werden die großen Wissenschaftspakte administriert, weshalb die Abteilung für die Wissenschafts-Community wohl weiter wichtigster Ansprechpartner sein wird. Hier finden sich Referate wie W 11 (Exzellenzstrategie und DFG), W 24 (Fraunhofer, Max-Planck), W 21 (Forschungsdaten, NFDI) oder W 25 (Sozial- und Geisteswissenschaften). Aber auch das BAföG (W 31) und die Begabtenförderung (W 33) sind unter der Überschrift "Fachkräfte und Talente" Teil dieser Abteilung – inklusive des Schüler-BAföGs. Eine Lösung, deren Alltagstauglichkeit in Abstimmung mit dem Bildungsministerium von Karin Prien sich noch erweisen muss.
Zu den Konturen muss jetzt die Schlagkraft kommen
Die Abteilung T – Technologische Souveränität und Innovation – beinhaltet das Herzstück der neuen Hightech-Agenda. Geleitet von Alexandra-Gwyn Paetz, bis August Geschäftsführerin der Berlin University Alliance (BUA), bündelt die Abteilung Schlüsseltechnologien – von Künstlicher Intelligenz (T 11) über Quantentechnologien (T 14) bis zu Kommunikations- und Cybersicherheit (T 13). Hinzu kommt die Unterabteilung für innovative Ökosysteme (T 2), die unter anderem den Batterietechnologien (T 24) und die Bundesagentur für Sprunginnovationen (T 22) betreut.
Paetz’ Bereich soll das schaffen, was ohne die Integration der BMWE-Förderprogramme deutlich schwieriger wird: den schnellen Übergang von Forschung in marktfähige Anwendungen – und damit jene "technologische Unabhängigkeit", die in der Bundesregierung wiederholt als politische Priorität genannt wird.
Die Abteilung G, geführt wie bisher von Veronika von Messling, verkörpert wiederum ein Stück Kontinuität: Wie im BMBF deckt sie das Feld der Gesundheits- und Lebenswissenschaften ab – von Frauengesundheit (G 11) über Biotechnologie (G 24) bis zu Global Health (G 15). Hier laufen die Fäden der medizinischen Forschung, der Netzwerke Deutscher Zentren für Gesundheitsforschung und der Nationalen Dekade gegen Krebs zusammen.
Schließlich Abteilung F – Zukunftsvorsorge, Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung – wie schon im BMBF geführt von Stefan Müller. Sie bündelt weiterhin die Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung. Von der Teilchenphysik (F 13) über Wasserstofftechnologien (F 22) bis zur Bioökonomie (F 25) reicht das Spektrum. Müller verantwortet damit die gesamte Zukunftsvorsorge-Forschung, inklusive Klima-, Energie- und Ressourcenfragen – eine gewaltige Themenfülle.
Mit dem neuen Organigramm hat Dorothee Bär ihrem Ministerium Konturen gegeben – aber noch keine Schlagkraft. Die Strukturen wirken durchdacht, die Köpfe stehen für Aufbruch und Erfahrung. Darüber, dass die Ministerin auch bei der Auswahl ihrer beamteten Staatssekretäre durchaus Händchen zeigte, hatte ich bereits berichtet: Mit Rolf-Dieter Jungk wurde ein ausgewiesener Experte für Forschungspolitik und Bund-Länder-Beziehungen berufen und mit Markus Pleyer, dem früheren Büroleiter Wolfgang Schäubles, ein extrem gut vernetzter Verwaltungsjurist. Doch bleibt der Zuschnitt des Ministeriums das Produkt eines schmerzhaften politischen Kompromisses, ein Hindernis, eine Bremse. Spätestens jetzt beginnt die Arbeit: Es gilt, aus einem Organigramm ein schlagkräftiges Ministerium zu machen – und aus dem Versprechen einer Hightech-Renaissance politische Wirklichkeit.
Kommentare
#1 - T2 ist kein Referat...
... sondern die Unterabteilung
Mitglied seit
10 Monate 3 Wochen#1.1 - Herzlichen Dank!
War der Eile gestern geschuldet und ist korrigiert. Einen schönen Freitag!
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