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Darüber werden wir reden

Was 2017 in Bildung und Forschung wichtig war –  und was deshalb 2018 wichtig werden könnte. Ein subjektiver Jahresausblick.

Foto: pixabay/stux

IN MEINEM AUSBLICK auf das Jahr 2017 fragte ich ganz am Ende: „Wer wird eigentlich Ende des Jahres im BMBF sitzen?“  Kaum einer (ich auf keinen Fall) hätte sich damals vorstellen können, dass wir auch gut drei Monate nach der Bundestagswahl im September keine neue Regierung haben würden. Dass im Bundesministerium für Bildung und Forschung immer noch eine Ministerin Dienst tut, die kurz nach der Wahl verkündet hatte, dass es dann auch mal gut sei mit dem Ministeramt – sobald, nun ja, die neue Koalition im Amt sei. Johanna Wanka hält die Stellung, und ich kann meine letzte Frage aus dem Jahresausblick 2017 bequem per Copy and Paste in diesen Jahresausblick 2018 übernehmen: Wer wird eigentlich Ende des Jahres im BMBF sitzen? In ein paar Augenblicken mehr dazu. 

 

Doch das zu Ende gegangene Politik-Jahr war nicht nur in Sachen geplatzter Jamaika-Sondierungen ereignisreich und kaum vorhersehbar. Auch meine – und Ihre? – Lieblingsthemen Bildung und Forschung boten viel Stoff für aufgewärmten Streit und neue Debatten: Kooperationsverbot, Digitalisierung,  Bildungsgerechtigkeit, Hochschulfinanzierung – die Liste lässt sich, siehe unten, fortsetzen. Was bleibt uns davon 2018 erhalten? Welche wegweisenden Entscheidungen stehen an? Und wer werden eigentlich die Bildungs- und Forschungspolitiker sein, die sie treffen müssen? Hier kommt sie also – meine Prognose, worüber ich 2018 am häufigsten berichten werde. Zwangsläufig subjektiv, wacklig, unvollständig und keinesfalls nach Wichtigkeit sortiert. Zumal einige der Vorhersagen sich nicht immer von meinen persönlichen Ansichten trennen lassen, wie ich mir die Dinge wünschen würde. Schauen Sie doch mal, ob das auch Ihre Themen und Perspektiven sind – und ergänzen Sie gern weitere durch Ihre Kommentare.

 

 

1. Forschungsfinanzierung: Dritter Anlauf auf die 3?

 

Gute Nachrichten kann man gar nicht oft genug verkaufen. „3-Prozent-Ziel erreicht!“, lautete 2013 die Überschrift über einer BMBF-Pressemitteilung. Gemeint war der Anteil der Wirtschaftsleistung, den Staat und Unternehmen in Forschung und Entwicklung investieren. Ende 2016 vermeldete das BMBF erneut, allerdings in leicht veränderter Schreibweise: „Drei-Prozent-Ziel erreicht“, und Ministerin Johanna Wanka jubelte: „Noch nie wurde so viel in Deutschland in Forschung und Entwicklung investiert wie 2015!“ Ihr entsprechendes Zitat drei Jahre zuvor las sich übrigens so: „Deutschland investiert so stark wie noch nie in die Zukunft.“ 

 

So richtig scheint die seit Jahren angepeilte 3-Prozent-Marke allerdings weder 2013 noch 2015 gefallen zu sein. Der Stifterverband, der im Auftrag des BMBF die sogenannten FuE-Ausgaben berechnet, kam nämlich in seiner endgültigen, erst im Juni 2017 vorgelegten Auswertung der 2015er-Zahlen auf lediglich 2,92 Prozent. Und für 2016 bezifferte er den Anteil (vorläufig berechnet) auf 2,94 Prozent. Gut möglich also, dass wir auch im neuen Jahr dieselbe Erfolgsmeldung aus dem BMBF vernehmen werden nach dem Motto: Juhu, wir haben die drei Prozent erreicht. Oder auch nicht. Denn je stärker die Wirtschaft wächst, und sie wächst derzeit kräftig, desto höhere Forschungsausgaben fordert auch das Erreichen der magischen Drei.

 

Die Politik scheint sich mit solch statistischem Kleinkram allerdings nicht mehr aufhalten zu wollen und ist schon mal auf einen höheren Zielwert eingeschwenkt. In den Jamaika-Sondierungen wurden die seit Jahren von Grünen und Linken geforderten 3,5 Prozent unter Mitwirkung der Union bekräftigt, auch die SPD hat sich bereits vor einem Jahr dazu bekannt. Keiner kann und wird also künftig noch weniger bieten wollen. Hehre Ambitionen – wobei es wie gesagt schön wäre (und Milliarden zusätzlich kostete), wenn die Politik 2018 erstmal die drei Prozent dauerhaft sichern würde.  

 

 

2. G9 oder der gefährliche Pragmatismus der Schulpolitik

 

G8 ist tot, es lebe G9: So lässt sich der schulpolitische Trend zusammenfassen, der sich lange abgezeichnet hatte, durch die Regierungswechsel in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen 2017 aber nochmal so richtig an Fahrt gewonnen hat. Von der angekündigten Wahlfreiheit für Schulen, die bei 12 Jahren bis zum Abi bleiben wollen, ist angesichts der eingezogenen Hürden so wenig übrig, dass die allermeisten Standorte in beiden Bundesländern wieder auf die neunjährige Gymnasialzeit umschwenken werden. Geht das so weiter (und vermutlich wird es das), wird Deutschland in einigen Jahren erneut schulpolitisch geteilt sein: In den westlichen Flächenländern gilt dann wieder fast durchgängig G9, im Osten (und wohl auch weiter in den Stadtstaaten) bleibt es bei G8.

 

Lässt sich das irgendwie inhaltlich begründen? Forderten die Erkenntnisse der Bildungsforschung zum Handeln auf? Nicht wirklich. Das größte Problem von G8 war die überhastete und nicht zu Ende gedachte Umstellung von G9, die zu Recht den Ärger vieler Eltern auslöste. Doch anstatt weiter Besserung für G8 zu geloben (die übrigens vielerorts längst da war), witterten größtenteils sachfremde, dafür aber wahlkämpfende Oppositionspolitiker in NRW und Schleswig-Holstein und ein angeschlagener Ministerpräsident in Bayern die Gelegenheit, durch plötzliche G9-Bekenntnisse ein paar Popularitätspunkte abzustauben. Hat ja auch geklappt, werden die Wahlsieger jetzt sagen. 

 

Wie es 2018 weitergeht? Meine Prognose: Das Thema G8 ist durch, jetzt wird der Ärger zunehmen über die erneut überhastete Umstellung auf G9. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Und es wird sich abzeichnen, dass ein gut gemachtes G9 Geld und zusätzliche Lehrer kostet. Zwar ist der Mangel an Gymnasiallehrern nicht so eklatant und noch dazu sehr fachabhängig, doch gute Lehrer gibt es nicht zum Nulltarif. Womit wir bei meiner zweiten G9-Prognose sind, die über das Jahr 2018 hinausreicht: Da, wie Bildungsforscher immer wieder betonen, nicht die Strukturen, sondern die Qualität für erfolgreichen Unterricht entscheidend sind, wird das neunjährige Gymnasium einen holprigen Start erleben. Eben weil vielerorts das nötige Geld fehlt, um es gut zu machen. So wird G9 die Schulen nicht besser machen, im Gegenteil: Es wäre ein Erfolg, wenn der angerichtete Schaden begrenzt bliebe.

 

Wie ich darauf komme? Nehmen wir ein zweites Schulstruktur-Thema dazu: Inklusion. Gerade erst hat Sachsen-Anhalts Kultusminister Marco Tullner (CDU) im Spiegel erklärt, die Diskussion über den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne besonderen Förderbedarf gehe an der Alltagspraxis vorbei und sei „eine wissenschaftliche Diskussion im Elfenbeinturm“. Sowohl Schüler als auch Lehrer seien beim gemeinsamen Unterricht derzeit in manchen Situationen überfordert. Womit Tullner, der als Mann des offenen Wortes gilt, sicher nah dran ist an den Realitäten vieler Schulen. Doch woran liegt das? Vor allem doch wohl daran, dass viele Landesregierungen der Auffassung waren, Inklusion mal so nebenher einführen zu können. Was angesichts des Lehrermangels und des gleichzeitigen Bedarfs an zusätzlichen Fortbildungen und Personal illusorisch war. Doch die Finanzminister sitzen eben auf dem Geld, weswegen es für Kultusminister leichter ist, die Inklusion an sich zum Problem zu erklären, anstatt die mangelnde politische Prioritätensetzung von ganz oben. 

 

Den Tenor, dass die Inklusion eine nette Idee von Theoretikern sei, aber praktisch nicht funktioniere, werden wir also in 2018 noch häufiger hören. Und wir werden erleben, dass trotz anderslautender Beteuerungen auch für ein gut gemachtes G9 die Mittel fehlen werden. Apropos G8 und Inklusion: Der Blick in andere Länder (zum Beispiel Kanada) würde helfen, um zu sehen, dass beides nicht nur nette Ideen sind, sondern durchaus auch funktionieren kann. Wenn man es denn wirklich will. 

 

 

3. Der Streit ums Kooperationsverbot oder: Die Rückkehr eines alten Bekannten

 

Als wäre er nach Hause gekommen: Kaum hatte Hubertus Heil das Amt des SPD-Generalsekretärs abgegeben, meldete er sich mit seinem alten Lieblingsthema zu Wort. Er könne sich nicht vorstellen, sagte er laut Bild am Sonntag kurz vor Weihnachten, "dass es eine Unterstützung der SPD für eine neue Bundesregierung gibt, ohne dass wir das Kooperationsverbot abschaffen.“ Nur dann sei es möglich, mit Bundesmitteln die Ganztagsschulen flächendeckend in Deutschland auszubauen und in allen Schulen digitale Bildung voranzubringen. 

 

Endlich darf Heil wieder den eingefleischten Bildungs- (und Forschungs-) politiker geben, zu dem er sich in den vergangenen Jahren entwickelt hatte. Abgesehen davon, dass er in seiner recht verbindlichen Art erneut nicht als der geborene Wahlkampf-Generalsekretär rüberkam, dürfte seine Erleichterung schon deshalb groß sein, da sich während seiner thematischen Abwesenheit ausgerechnet FDP-Chef Christian Lindner zum Abschaffungs-Wortführer aufgeschwungen und im Spiegel-Interview erklärt hatte, die Sichtweise, dass die Konkurrenz von 16 Ländern die Qualität der Bildung verbessere, sei eine "deutsche Lebenslüge".

 

Dieser Jahresausblick würde aus allen Nähten platzen, wollte ich an dieser Stelle die Genese der aktuellen Debatte ums Kooperationsverbot, angefangen im Herbst 2016, noch einmal nachzuerzählen. Auch Sinn und Unsinn, Möglichkeiten und Grenzen einer Verfassungsänderung möchte ich hier nicht erneut diskutieren. Wen all dies interessiert, kann dazu meinen Essay aus dem August 2017 lesen – oder die Linksammlung unter dem Artikel „Was genau ist eigentlich das Kooperationsverbot?“ durchgehen (übrigens bis heute der meistgelesene Artikel meines Blogs). 

 

Heute nur zwei Prognosen für 2018. Erstens: Kommt eine neue Bundesregierung unter Angela Merkel, kommt auch die Veränderung beim Kooperationsverbot. Die CDU-Kanzlerin hat sich längst damit abgefunden, dass alle ihre potenziellen Bündnispartner mehr Bundesengagement für die Schulen wollen – und zwar dauerhaft. Die Frage ist, wieviel Veränderung die Schwesterpartei CSU zulässt – im Zusammenspiel etwa mit den Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne) und Laschet (CDU), die zwar (welch Wunder!) offen sind für mehr Bundesgeld, aber bitte ohne mehr Bundeseinfluss. Vielleicht wird es aber auch der "pragmatische Mittelweg", den Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) jüngst gegenüber der dpa ins Spiel brachte. Zitat: "Ich wünsche mir, dass die nächste Bundesregierung eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Bildung anstrebt." So bliebe die Länderhoheit in der Bildung erhalten, und der Bund käme über bisherige punktuelle Förderprogramme hinaus ins Boot, erläuterte Ramelow. Übrigens wird sein Bildungsminister Helmut Holter in wenigen Tagen offiziell Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK). Wir sollten uns also für weitere Debatten bekannten Inhalts wappnen. 

 

Zweitens: Wie seine Wortmeldung zeigt, ist Hubertus Heil wieder im Rennen. Und zwar, womit wir wieder beim Anfang dieses Jahresausblicks angelangt wären, um den Chefsessel im BMBF. Gerade erst wurde Heil in seinem Amt als Fraktionsvize bestätigt, zuständig für Wirtschaft und Energie sowie Bildung und Forschung. Er gilt nicht gerade als engster Verbündeter von SPD-Chef Martin Schulz, aber seine Expertise ist auch bei den Sozialdemokraten unumstritten. Ergo: Wenn die SPD in einer neuen Regierung für die Themen Bildung, Forschung und Innovation verantwortlich zeichnet, dann wahrscheinlich mit Hubertus Heil am Kabinettstisch. 

 

 

4. Warten auf den Digi-Pakt

 

Noch so eine Debatte, die sich nie totläuft – wohl auch, weil so wenig passiert. „Jetzt ist Johanna Wanka an der Reihe“, schrieb ich im Jahresausblick 2017. Fünf Milliarden Euro für die digitale Aufrüstung der Schulen hatte sie im Oktober 2016 versprochen. „Endlich wird (ein bisschen) Tempo gemacht bei dem Thema“, frohlockte ich vor genau einem Jahr – und lag falsch. 

 

Zwar begannen die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, wie der Pakt konkret aussehen sollte, tatsächlich Ende Januar 2017. Ein Eckpunktepapier wurde in mühseliger Kleinstarbeit ausgearbeitet, bevor ein zehnwöchiges Sommertheater begann – ausgelöst durch eine abgesagte Unterzeichnung des Papiers durch Ministerin Wanka und die spitzen Reaktionen der Kultusminister. Auch hier erspare ich mir die Einzelheiten und verweise auf meine diesbezügliche Berichterstattung. Zuletzt berichtete ich Anfang Dezember, dass sich plötzlich der Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun, einschaltete, um Folgendes zu Protokoll zu geben: Die Bundesregierung habe "von Beginn an" darauf hingewiesen, dass der Digitalpakt erst nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung verabschiedet werden könne, "sobald auch die dafür notwendigen Haushaltsmittel veranschlagt wurden." Der "Erarbeitungsprozess zwischen Bund und Ländern", zu denen Braun die Eckpunkte verbal degradierte, bilde dafür "die Grundlage". Ach so. 

 

Die Chancen, dass der Pakt kommt, stehen trotz des absurd anmutenden Hin und Hers weiter gut. Schon allein, weil der Bedarf so riesig ist: Anfang November haben Andreas Breiter und sein Team vom vom ifib an der Universität Bremen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung berechnet, dass Bund und Länder 2,8 Milliarden Euro für die angemessene IT-Ausstattung aller Schulen ausgeben müssten – und zwar nicht einmalig, sondern jedes Jahr. Optimistisch stimmt auch, dass der Digitalpakt in den von Helge Braun persönlich mitverhandelten Jamaika-Sondierungsergebnissen bereits enthalten war. Und aus dem BMBF war erst neulich zu hören, dass zum jetzigen Zeitpunkt zwar noch nicht die fünf Milliarden auf fünf Jahre gesichert seien, aber immerhin schon 3,5 Milliarden auf drei Jahre. Es wäre halt schön, wenn die Bund-Länder-Vereinbarung dann im Jahr 2018 auch mal final festgeklopft würde. 

 

 

5. Die Krise der KMK

 

Nein, es war kein leichtes Jahr für viele Kultusminister. Nicht nur weil aktuelle oder Möchtegern-Ministerpräsidenten, siehe oben, sich in die Schulpolitik einmischten. Der Ärger fing schon Ende 2016 an mit den mauen Ergebnissen beim internationalen TIMSS-Grundschulvergleich. Eine Woche später folgten wenig berauschende Zahlen bei Pisa (das sind die Neuntklässler). Der innerdeutsche IQB-Bildungstrend im Oktober 2017 belegte dann schwächere Leistungen der Viertklässler in Mathe und Deutsch, und Anfang Dezember 2017 vermeldeten auch die an der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) beteiligten Forscher für Deutschland nur stagnierende Lesekompetenzen – nachdem es fünf Jahre zuvor bereits einen Rückgang gegeben hatte. Dennoch sprachen KMK und BMBF in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung tapfer von einer „stabilen Entwicklung“. Tatsächlich bedeuteten die IGLU-Ergebnisse, dass Deutschland in der Ländertabelle nach hinten durchgereicht wurde, denn die Schulsysteme vieler anderer Länder waren nicht stehengeblieben. Insofern sollte die Politik aus all den enttäuschenden Studien der vergangenen 15 Monate Konsequenzen ziehen, anstatt Ausreden zu bemühen. Der Hinweis jedenfalls auf die zunehmende „Heterogenität“, mit dem KMK und BMBF den IGLU-Trend erklären wollten, ist in einer modernen, immer offeneren Gesellschaft kaum hilfreich. 

 

Susanne Eisenmann (CDU), KMK-Präsidentin des Jahres 2017 und Kultusministerin aus Baden-Württemberg, scheint das auch so zu sehen. Sie sagte in ihrer ersten Reaktion auf IGLU, es gelte zu analysieren, warum es "einer Reihe von Staaten im Grundschulbereich besser gelingt, die Leseleistungen zu verbessern." Wobei die Analysen in Wirklichkeit längst da sind. Die Bildungsforschung liefert nicht nur verlässliche Wasserstandserhebungen, sie hat seit Jahren und wiederholt darauf hingewiesen, wo die Defizite im deutschen Bildungssystem zu finden sind: Den Schulen gelingt es nicht, den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schülerleistungen aufzubrechen. Auch gibt es in vielen Bundesländern gute Ansätze, etwa Programme zur Leseförderung, doch evaluieren die Kultusminister zu wenige ihrer Initiativen und wissen noch dazu viel zu wenig von dem, was ihre Kollegen machen.

 

Womit wir beim gegenwärtigen Kernproblem der KMK angelangt wären: Solange die Schulstudien positive Trends vermeldeten, fiel kaum auf, wie wenig der Club der Kultusminister bislang als strategische Informations- und Austauschplattform für Best Practice taugt. Oft wird als Argument für den Wettbewerbsföderalismus angeführt, dann könnten die Bundesländer unterschiedliche Schulmodelle und Programme ausprobieren, gemeinsam die Ergebnisse analysieren und von den jeweils Besten lernen. Theoretisch schön. Der Bildungsforscher Eckhard Klieme brachte die aktuelle Praxis im Interview hier im Blog auf den Punkt: Es sei „ein unbefriedigender Zustand, dass zentrale Fragen eher zufällig, zersplittert und damit ineffizient bearbeitet werden  – mit dem Ergebnis, dass in der bildungspolitischen Debatte Stiftungen und Verbände in die Lücke stoßen und Themen besetzen“. 

 

Besonders augenfällig wurde das anhand einer Prognose der Bertelsmann-Stiftung zu künftigen Schülerzahlen und dem daraus folgenden Lehrerbedarf, die weit über den noch geltenden KMK-Berechnungen lag. In Zeiten des Extrem-Lehrermangels äußerst brisant, so dass die Kultusministerkonferenz ihren eigenen kleinen Shitstorm in den Medien erlebte. 

 

KMK-Generalsekretär Udo Michallik sagte hier im Blog, angesichts der wachsenden Aufgaben müsse das KMK-Sekretariat besser ausgestattet sein.  „Es liegt im Interesse der Länder, was wir hier machen“, sagte Michallik, „so dass es nett wäre, wenn die Finanzpolitiker nach zehn, 15 Jahren auch mal sagen würden: Das haben die gut gemacht in der KMK, sie haben den Aufgabenzuwachs gut bewältigt, und jetzt begleiten wir das mit den nötigen Ressourcen.“ 

 

Viele Kultusminister stöhnen derweil auch über die technokratischen Sitzungen, in denen viel zu viel vor sich hin verwaltet und zu wenig wirklich über Sachthemen geredet werde. Das zumindest, so haben sie sich in ihrem jüngsten Zusammentreffen geschworen, soll sich ändern. Es soll wieder mehr inhaltlich debattiert werden. Ein Hinweis auf eine echte Reform der KMK im Jahr 2018? Jedenfalls wäre in einer Zeit, in der die meisten mehr Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Bildung fordern, eine effektivere Länder-Länder-Zusammenarbeit auch schon was. 

 

 

6. Rollback des Rollbacks in der Hochschulpolitik?

 

Während die Regierungswechsel in der Schulpolitik zu einem Rollback weg von G8 geführt haben, erleben wir in der Hochschulpolitik eher ein Rollback vom Rollback. Konkret: Als Svenja Schulze (SPD) 2010 in Nordrhein-Westfalen das Innovationsministerium von Andreas Pinkwart übernahm, gehörte es zu ihren Wahlversprechen, das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz von 2007 zu korrigieren. Symbolträchtig war anfangs vor allem die Debatte über die vermeintlich zu große Macht der Hochschulräte und, ein paar Jahre später, über den Sinn der Präsenzpflicht für Studenten. Letztere kippte Schulze, indem sie den Hochschulen per Gesetz vorgab, in welchen (sehr seltenen) Fällen die Studenten überhaupt noch zum Kommen gezwungen werden durften. Jetzt regiert in NRW wieder Schwarz-Gelb, und die neue parteilose Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat angekündigt, das Hochschulgesetz zu entschlacken. Womit unter anderem auch Schulzes fast vollständiges Verbot der Präsenzpflicht wieder wegfallen soll. Auch über Studiengebühren, die Schulze im Geleitzug der anderen Länder abgeschafft hatte, will Schwarz-Gelb wieder reden – wenn auch nur für internationale Studenten wie in Baden-Württemberg. So, wie Schulzes Kurswechsel vor einigen Jahren irgendwie idealtypisch schien für die hochschulpolitische Klimaveränderung in der Bundesrepublik insgesamt, so könnten es auch Pfeiffer-Poensgens Pläne jetzt wieder sein. Das Wort „Hochschulautonomie“ jedenfalls ist plötzlich wieder in aller Munde, nachdem sein Klang zwischendurch hohler geworden war und viele Wissenschaftspolitiker lieber von „politischen Gestaltungsvorbehalten“ gesprochen hatten. Vor einigen Wochen erst hat zum Beispiel das Netzwerk Wissenschaftsmanagement ein sehr lesenswertes Positionspapier namens „Wissenschaftsfreiheit neu gestalten“ produziert und die Bedeutung der institutionellen Freiheit hervorgehoben (meine Einordnung finden Sie hier). Wir werden sehen, was all das für 2018 bedeutet. 

  

 

7. Jahr 20 der Hochschulreform: Was Bologna jetzt braucht

 

Der durch eine erfolgreiche Verfassungsklage notwendig gewordene neue Staatsvertrag zur Akkreditierung ist durch, als 16. und letztes Bundesland hat ihn Mitte Dezember Hessen per Landtagsbeschluss ratifiziert. Auch die lange umstrittene Musterrechtsverordnung passierte die Kultusministerkonferenz – mit einer klugen Enthaltung von Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Birgit Hesse (SPD), die so zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: erstens es sich nicht mit ihrem Vorgänger und aktuellem Finanzminister Mathias Brodkorb (ebenfalls SPD) verderben, der den Staatsvertrag wegen seiner Diplom-Vorliebe zwischenzeitlich ganz hatte scheitern lassen wollen. Und zweitens nicht die Wissenschaftsminister-Kollegen aus den anderen Bundesländern gegen sich aufbringen, die ohnehin schon reichlich genervt waren von Brodkorbs Versuch, die Staatsvertrag-Verhandlungen zu kapern, um das Diplom per KMK-Beschluss zu rehabilitieren – einfach weil er persönlich so wenig von den Bologna-Abschlüssen Bachelor und Master hält. Brodkorb war es zwischendurch sogar gelungen, über seinen damaligen Regierungschef Erwin Sellering immerhin fünf weitere Ministerpräsidenten zu einer kuriosen Diplom-Protokollerklärung zu verleiten. Aber gut, Schwamm drüber.

 

Wobei das mit dem Schwamm drüber nur für die Ratifizierung selbst gilt. Der Streit über Akkreditierung und Bologna an sich bleibt. Gut möglich, dass wir neue Klagen erleben werden, weil Akkreditierungsgegner auch die Neuregelung für fragwürdig halten. Und die 1999 in Bologna beschlossene Studienreform ist zwar längst nicht mehr in ihrer Existenz bedroht, doch sie wird mehr hingenommen als geliebt. Was Bachelor und Master bräuchten, wäre ein echter inhaltlicher Aufbruch. Je formalistischer und prinzipieller die Bologna-Debatte läuft, je mehr daraus über die Jahre eine Glaubensfrage geworden ist, desto stärker gerät ihr Potenzial in den Hintergrund: Warum ist es in Deutschland eigentlich selbstverständlich geworden, dass man Bachelor und Master zusammendenkt, wie in einem Rutsch? Warum ist es in Deutschland nicht üblich wie anderswo in der Welt, nach dem (meinetwegen auch längeren) Bachelor erstmal arbeiten zu gehen und dann, ausgestattet mit erster Berufserfahrung und vielleicht neuen Karriereplänen, an die Hochschule zurückzukehren? Zurückzukehren, um einen passgenauen Master zu machen, der im Zweifelsfall andere fachliche Schwerpunkte setzt als der Bachelor? Es wäre gut, im Jahr 20 der Studienreform eine Debatte loszutreten, wie wir ihre Möglichkeiten besser nutzen für das, was wir in Sonntagsreden immer als „lebenslanges Lernen“ preisen – und doch in seinen Konsequenzen für unser Bildungssystem bislang kaum wirklich begriffen haben.

 

 

8. Schrauben am Numerus Clausus

 

Es war der letzte Rumms vor Weihnachten. Das Bundesverfassungsgericht hat den Numerus Clausus im Medizinstudium in seiner bisherigen Form für teilweise nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Bis zum 31. Dezember 2019 muss die Studienplatzvergabe auf eine neue Grundlage gestellt werden, vermutlich in Form eines reformierten Staatsvertrages. Die Folgen auch für andere Fächer dürften weitreichend sein, wie ich in meinem Artikel in der ZEIT aufgeschrieben habe. Besonders viel Ärger droht bei folgenden drei Fragen: Erstens: Wollen wir wirklich, wie die Verfassungsrichter nahelegen, dass künftig Studienbewerber jahrelang warten, um dann womöglich doch keinen Studienplatz zu bekommen? Zweitens: Welche Tests bieten sich an, um die Eignung zum Studieren abseits der Abiturnote zuverlässig nachzuweisen, und wie unterschiedlich werden diese Tests von Uni zu Uni ausfallen? 

 

Die dritte Frage regt erstmal zum Stirnrunzeln an, dürfte sich womöglich aber als die entscheidende herausstellen: Schafft die für die bundesweite Studienplatzvergabe zuständige Stiftung für Hochschulzulassung (Sfh) den notwendigen Neustart bei der Bewerbungssoftware? Die vom Verfassungsgericht geforderten Veränderungen lassen sich nicht mit dem System abbilden, das die Stiftung derzeit noch beim Aussortieren der Bewerber in den Medizinstudiengängen und der Pharmazie einsetzt. Eine Neuentwicklung namens DoSV 2.0 ist 2014 (!) beschlossen worden, doch die für 2018 geplante Fertigstellung verzögert sich nach heutigem Stand um mehrere Jahre, und zwar bis 2021/22. Die Krise der Stiftung, besser bekannt unter dem Label „Hochschulstart.de“, habe ich vergangenes Jahr eng begleitet. Die Wissenschaftsminister planen jetzt für 2018 eine umfassende Reform. „Hochschulstart.de“ wird folglich in den nächsten zwei Jahren alle zur Verfügung stehenden Ressourcen in DoSV 2.0 investieren – übrigens mit der Nebenfolge, dass die Bewältigung anderer drängender technischer Probleme bei der SfH-Software in den Hintergrund geraten dürfte. Aber reicht das? Politisch jedenfalls wäre es kaum vorstellbar, dass die Umsetzung der Verfassungsgerichtsvorgaben an einem Softwareproblem hängen bliebe.  

 

 

9. Die Pakte werden runderneuert

 

Die Neuauflage der Exzellenzinitiative als Exzellenzstrategie wurde in der vergangenen Legislaturperiode mit Verspätung, aber noch rechtzeitig auf die Strecke gebracht. Hier gab es 2017 erste Weichenstellungen und Überraschungen. Im September 2018 steht nun die Förderentscheidung bei den Clustern an, und im Dezember 2018 müssen die Anträge zu den Exzellenzuniversitäten eingereicht werden. Aber was ist mit den beiden anderen großen Brocken Hochschulpakt und Pakt für Forschung und Innovation, die in dieser Legislaturperiode auslaufen? Je länger die neue Regierung auf sich warten lässt, desto ungeduldiger werden Hochschulrektoren und Wissenschaftsmanager – wollen sie doch möglichst bald Klarheit.

 

Über den Hochschulpakt 2020 hat der Bund seit 2007 hunderttausende zusätzliche Studienplätze finanziert, allein 2017 flossen so laut Plan fast 2,5 Milliarden in die Länder. Doch der Pakt geht, wie sein Name schon sagt, nach 2020 Ende. Dass danach etwas kommen muss, da sind sich alle einig. Allerdings: Was dann kommt, darüber streitet die Hochschulpolitik seit Jahren – mit zunehmender Intensität, seit Bund und Länder 2014 ein dauerhaftes Engagement des Bundes per Grundgesetzänderung (Stichwort Artikel 91b) ermöglicht haben. Nach welchen Regeln sollen künftig die Bundesmilliarden an die Hochschulen transferiert werden? Was müssen die Länder dafür im Gegenzug versprechen? Wird der ebenfalls auslaufende Qualitätspakt Lehre (noch 200 Millionen pro Jahr) mit dem Hochschulpakt-Nachfolger fusioniert? Geht das Geld in die Grundfinanzierung, oder soll es mindestens teilweise leistungsabhängig gezahlt werden? Und was genau hieße in dem Fall leistungsabhängig? Es existieren verschiedene Konzepte, vor allem auf Seiten der SPD. Doch im Kern sind sich nicht einmal die Länder untereinander einig, was genau sie vom Bund wollen – abgesehen von dem Geld an sich, versteht sich.

 

Zu sehr sorgen sollten sich die Hochschulrektoren dennoch nicht. Sobald die neue Regierung steht, werden die Bund-Länder-Verhandlungen über die Zukunft des Hochschulpakts beginnen und gleich in die heiße Phase gehen. Dann wird auch darüber geredet werden,  ob der Bund doch noch einmal in den Hochschulbau einsteigt und wie er die Digitalisierung an den Hochschulen unterstützen kann (die Rede ist unter anderem von einem Konzept-Wettbewerb mit zehn, 20 Gewinnern). Und über all dem schwebt die Frage, wo eigentlich genau die finanziellen Grenzen des Bundes liegen.

 

Apropos finanzielle Grenzen: Abgesehen von den finanziell erheblichen Kosten einer möglichen Abschaffung des Kooperationsverbots für den Bereich der Schulen (siehe Punkt 3) gibt es auch in der Wissenschaftspolitik konkurrierende „Bedarfe“, wie Finanzpolitiker das nennen. Den besagten Pakt für Forschung und Innovation (PFI) vor allem, über den die vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jedes Jahr ein ordentliches Plus erhalten. Der muss wie gesagt ebenfalls neu verhandelt werden. Hier pocht der Bund darauf, dass die Länder anders als in der aktuellen, bis 2020 laufenden Runde die Zuwächse künftig wieder mitfinanzieren. Schon das würde für die Länder richtig teuer. Zwischen 2016 und 2020 zahlt der Bund den Aufwuchs allein – Kostenpunkt: 3,9 Milliarden Euro.

 

So wird es unter anderem darauf ankommen, das Größenverhältnis der zwei großen Brocken Hochschulpakt und PFI so zu justieren, dass am Ende alle halbwegs zufrieden sind. An den Hochschulen fordern viele schon länger, das Plus für die Außeruniversitären zu begrenzen, damit für sie mehr übrigbleibt, schließlich hätten sie großen Nachholbedarf. 

 

Ende des Jahres sollten wir mehr wissen. Bis dahin müssten die Eckpunkte beider Großpakte feststehen, so dass (noch ganz entspannt) im Laufe des Jahres 2019 die offiziellen Vereinbarungen unterschrieben werden könnten.  Wobei die Entscheidungen auf den letzten Drücker zur Neuauflage der Exzellenzstrategie gezeigt haben: Knapper geht immer. 

 

Bleiben die kleineren Brocken. So erführen zum Beispiel die Fachhochschulen gerne mal, wie genau eigentlich der ihnen versprochene Nachwuchspakt aussehen und dotiert sein soll. Es wäre peinlich, wenn die neue Regierung hier in 2018 nicht liefern würde. 

 

Soweit meine neun Themen, von denen ich glaube, dass sie 2018 wichtig werden an Schulen und Hochschulen. Wobei ich viele andere zentrale Fragen zwangsläufig weglassen musste. Wie geht es zum Beispiel an den Kitas weiter? Kommt eine Offensive für mehr gebundene Ganztagsschulen? Wie gelingt die weitere Integration der Geflüchteten in Schulen, Hochschulen und Arbeitsmarkt? Reformiert die neue Bundesregierung, wenn sie denn mal da ist, die Studienfinanzierung und das Bafög? Und: Werden wir möglicherweise sogar ein ganz neu zugeschnittenes Bundeswirtschaftsministerium erleben, ergänzt um Digitalisierung, Teile der Forschung und der Technologie – und im Umkehrschluss einen BMBF-Nachfolger, der sich viel stärker auf Schule, Ausbildung und Studium konzentrieren wird?

 

Fest steht: Auch 2018 wird für Bildung und Wissenschaft ein spannendes und, wenn ich wirklich ehrlich bin, auch ein kaum vorhersagbares Jahr. Sicher ist: Ich bleibe – mit Ihnen – dran an den Themen und Diskussionen, die es ausmachen werden. In diesem Sinne: Alles Gute, Glück und Gesundheit für 2018!

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